Gelegentliche Seitenhiebe der Figuren auf die dramaturgischen Klischees tränenreicher Sterbebett-Szenen, altersweiser Ratschläge und sentimentaler Abschiedsgesten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Roger Michells Familienmelodram um eine in den Freitod scheidende Matriarchin (überzeugend: Susan Sarandon) genau auf dergleichen leichtverträgliche Larmoyanz hinausläuft. Diese Trivialität ist frustrierend, bieten doch Thematik und hochkarätige Besetzung reichlich Potenzial für ethische Fragen und substanzielles Drama. Um die laviert sich Drehbuchautor Christian Torpe, der bereits Bille Augusts Original Silent Heart schrieb, geflissentlich herum.
Drohen Konflikte den achtköpfigen Verwandtenkreis, von dem die todkranke Lily am letzten gemeinsamen Wochenende Abschied nimmt, aus ihrer krampfigen Gemütlichkeit zu reißen, lösen die sich umgehend in Wohlgefallen auf. Charakter- und Logikbrüche erzwingen erst seichte Versöhnlichkeit, dann unglaubhafte Last-Minute-Skandale. Das kontroverse Kernthema Sterbehilfe dient als Betroffenheitsgarant am Rande banaler Eifersüchteleien und absehbarer Geheimnisse. Wird obendrein auf Lilys Wunsch Weihnachten vorgezogen, kippt die Theatralik in unfreiwillige Komik, während die latente Ambivalenz systematisch ausgeblendet wird.
Lilys entschlossenes Auftreten kaschiert ihre erniedrigende Abhängigkeit von den Launen der Anwesenden, die sie mit wertvollen Geschenken quasi besticht. Ihre Töchter Anna (Mia Wasikowska) und Jennifer (Kate Winslet) drohen abwechselnd, den Suizid zu vereiteln, um Mama für Erziehungsfehler oder Fehltritte ihres Gatten Paul (Sam Neill) zu bestrafen. Diesen familiären Sadismus sowie die perfide Gesetzgebung verschnörkelt Michell, dem moralische Aspekte offenbar gleichgültig sind. Verständlich, dass seine skizzenhafte Hauptfigur den letzten Akt lieber vorzieht – zu Tode genervt.
Oha, Sterbehilfe! Da stehen sogar belanglose Zwistigkeiten einer weißen Elitesippe plötzlich bedeutsam da. Dass Regisseur Michell die sozialen Privilegien, die den selbstbestimmten Tod erst ermöglichen, nie aufgreift, unterstreicht die Verlogenheit des überflüssigen Remakes. Einzig das Ensemble glänzt, insbesondere Sarandon und Bex Taylor-Klaus. Gegen Rührseligkeit und stereotype Charakterisierung kommen sie letztlich jedoch nicht an. Verweist die plakative Inszenierung mit Blick auf die Uhr auf ablaufende Lebenszeit, wirkt das wie eine Mahnung gegen die filmische Zeitverschwendung.
- OT: Blackbird
- Regie: Roger Michell
- Drehbuch: Christian Torpe
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2019
- Laufzeit: 97 min.
- Cast: Kate Winslet, Sam Neill, Susan Sarandon, Rainn Wilson, Mia Wasikowska, Bex Taylor-Klaus, Lindsay Duncan, Anson Boon
- Kinostart: 24.09.2020
- Beitragsbild © Leonine