Filmkritiken sind manchmal wie medizinische Diagnosen: Man würde gern etwas Positives sagen, aber dazu müsste man lügen. So ein hoffnungsloser Fall ist Emmanuelle Bercots klischeehaftes Krebsdrama. Das renommierte Ensemble ist das unzureichende Schmerzmittel bei diesem Schneckentempo-Sterbemarathon, der an jeder dramaturgischen Abzweigung die falsche Richtung einschlägt. Absicht der französischen Regisseurin und ihrer Co-Autorin Marcia Romano war scheinbar eine Step-by-Step-Anleitung, wie man bei tödlicher Krankheit korrekt zu sterben hat oder sterben lässt.
Gerade aufgrund des sensiblen Themas und angesichts des desolaten Zustands des Gesundheitsapparats macht die zwischen Idealisierung, spirituellem Kitsch und Betroffenheitsexploitation pendelnde Inszenierung bei aller unfreiwilligen Komik regelrecht ärgerlich. Schauspiellehrer Benjamin (Benoît Magimel), der seine ihn verehrende Klasse regelmäßig zu hochemotionalen Höchstleistungen antreibt, begibt sich umsorgt von Übermutter Crystal (Catherine Deneuve) mit unheilbarem Bauchspeicheldrüsenkrebs in Behandlung des Spezialisten Dr. Eddé (Dr. Gabriel Sara). Der ist laut Benjamin „der Beste“ – offenbar in allem – und damit nicht allein.
Die strahlende Klinik mit Gourmet-Verpflegung, entspannten Pflegekräften, 24-Stunden-Chefarztbetreuung und bühnenreifem Unterhaltungsprogramm – inklusive erotisch versierter Stöckelschuh-Schwester – macht direkt neidisch auf die Tumorpatienten, von denen niemand glaubhaft krank aussieht. Einzige Sorgen Benjamins, dessen emotionale Unreife eine Basecap signalisiert, sind biografischer Ballast wie sein verleugneter Sohn Léandre (Oscar Morgan) und seine Glucken-Mama. Letzte identifiziert der Plot mit chauvinistischer Zielsicherheit als Ursache aller Fehler ihres Sohnes. Aber Eddé und sein Team kriegen das hin.
„10 Things Not to Do When Dying“ oder „Abkratzen für Anfänger“ wären passendere Filmtitel für Emmanuelle Bercots in Jahreszeiten-Kapitel unterteilte Leidensgeschichte. Die wirkt trotz des Casings echter Ärzte denkbar realitätsfern – nicht nur aufgrund sachlicher Fehler. Die larmoyante Leidensgeschichte malt den Krankenhausalltag als Mischung aus Luxushotel, Selbsthilfegruppe und Sommercamp. Ein Affront an unterbezahlte Pflegekräfte, überarbeitetes Medizinpersonal und alle, die den stationären Horror kennen. Ohne die namhafte Besetzung wären das Potpourri krebsbezogener Kalendersprüche wohl längst begraben.
- OT: De son vivant
- Director: Emmanuelle Bercot
- Screenplay: Marcia Romano, Emmanuelle Bercot
- Country: France
- Year: 2021
- Running Time: 92 min.
- Cast: Catherine Deneuve, Benoît Magimel, Gabriel A. Sara, Cécile de France, Oscar Morgan, Lou Lampros, Melissa George, Gabriela Leguizamo, Olga Mouak, Marc Fauveau, Babetida Sadjo, Izabella Maya, Marushka Jury, Julie Arnold, Gérard Gaudron, Nada Sara
- Release date: 20.01.2022
- Image © Studiocanal