Als filmische Amour fou im wörtlichen Sinne schmeichelt sich Régis Roinsards Retro-Romanze bei seinem spießbürgerlichen Zielpublikum ein, beflissen darauf bedacht, jedes toxische Klischee über das psychische Krankheitskonstrukt zu bestätigen. Der tragische Titelsong in einer Interpretation Nina Simones vermittelt statt der seichten Sentimentalität, auf die der Regisseur und Co-Autor Romain Compingt in ihrer mit Olivier Bourdeaut verfassten Adaption dessen gleichnamigen Bestsellers abzielt, die arrogante Apathie gegenüber den komplexen sozialen und politischen Implikationen der Kernmotive.
Das sind institutionalisierte Psychiatrie und Konzepte mentaler Divergenz, welche die Inszenierung so selbstverständlich etabliert, als entstamme die dröge Dramödie der Ära, in der sie spielt. Die Unglaubwürdigkeit der billigen Sixties-Staffage und krampfigen Statisten wird ungewollt zum ästhetischen Pendant der aufgebauschten Dialoge, mit denen Georges (Romain Duris) und Camille (Virginie Efira) einander einheizen. „Dirty Talking“ ist für die beiden sexistischen Stereotypen das blumige Beschreiben ihrer Traumschlösser, die der einflussreiche Mäzen „Mistkerl“ (Grégory Gadebois) ihnen erbaut.
Doch Familienglück und feucht-fröhliches Feierleben, das die durch Söhnchen Gary zur konservativen Keimzelle erweiterten Charaktere trotz vorgeblicher Geldknappheit führen, gefährdet crazy Camille mit aufwallender Angriffslust, die sich zeitweise sexuell sedieren lässt. Ihr Textbuch-Irrsinn fungiert als verkappte Metapher der feministischen Bewegung als duschgeknallt-destruktiv. Medizinische Gewalt erscheint als legitime Maßregelung weiblichen Wahns, der allen männlichen Mühen trotzt. Die paternalistische Perspektive auf die infantilisierte Irre machen schwache Schauspielerei, tumbe Handlung und fade Witze noch unerträglicher.
Kitsch-Konservativismus, Elite-Exzentrik und Soap-Stereotypen arrangiert Régis Roinsard zu einem pittoresk-pathologischen Potpourri, das zwischen Vintage-Kulissen und Boho Banalität die misogynen Mythen und menschenverachtenden Mechanismen der Psycho-Pseudowissenschaft zementiert. Dass der historische Kontext der massiv rassistisch, ableistisch und klassistisch belasteten Tropen, welche die gestelzte Liebeskomödie zu einer reinweißen Romanze pervertiert, bewusst ausgeblendet wird, zeigt die musikalische Evokation Nina Simones. Sie wurde selbst Opfer der Psycho-Industrie, deren Krankheitskonstrukte die bornierte Bagatelle zelebriert.
- OT: En attendant Bojangles
- Director: Régis Roinsard
- Screenplay: Romain Compingt, Régis Roinsard, Olivier Bourdeaut
- Country: France, Belgium
- Year: 2021
- Running Time: 124 min.
- Cast: Romain Duris, Virginie Efira, Grégory Gadebois, Solan Machado Graner, Elisa Maillot, Morgane Lombard, Bénédicte Charton, Fabienne Chaudat, Franck Mercadal, Lucas Bleger, François Raffenaud, Marc Susini, Pénélope Montazel, Valentine Montazel, Christian Ameri, Marie-Hélène Nicquevert
- Release date: 04.08.2022
- Image © StudioCanal