Stell dir vor, Alice Weidel macht einen Film über Regenbogenfamilien. Genauer gesagt, über perfekt dem konservativen Konstrukt angepasste Regenbogenfamilien wie die ihre, in der zwei Partnerinnen monogam, mittelständisch und mütterlich das Parteiideal leben. Man muss es sich nicht vorstellen, da es den Film in abgemilderter Form quasi schon gibt, gedreht von Annette Ernst. Deren Absichten mögen humanistischer sein als die Weidels, aber das ist keine Rechtfertigung der problematischen Aspekte und bigotten Zwischentöne ihrer Langzeit-Doku.
Die Assoziation mit der AfD-Funktionärin kommt nicht willkürlich. Weidel hat in Parteifunktion einen Kurzauftritt, der suggeriert, selbst ihre Partei begegne queeren Partnerschaften tolerant. Tut sie natürlich nicht, sie macht lediglich eine Ausnahme in eigener Sache. Genau wie die offen homophobe Verwandtschaft Pedis und Annys. Das Mütterpaar steht mit seinen drei Söhnen im Zentrum des Langzeitprojekts, für das die Regisseurin zwei Frauenpaare mit Kindern vom gleichen privaten Samenspender über 13 Jahre mit der Kamera begleitete.
Daraus entstand keineswegs das beworbene „Plädoyer für Diversität, Toleranz und Vielfalt“. Die in sentimentalen Bilderbögen und kindlichem Kitsch schwelgende Chronik ist fest verankert in einem von christlich-konservativen und rechten Parteien ideologisch aufgeladenen Begriff einer – implizit „deutschen“ – „Normalität“. Weit entfernt davon, solche Konzepte zu hinterfragen und zu dekonstruieren, will Ernst offenbar beweisen, dass Regenbogenfamilien genau wie die kinderreiche Regenbogenfamilie der bezeichnenderweise als Identifikationsfigur aufgezeigten Alice Weidel diese „Normalität“ nicht bedrohen, sondern selbst leben.
Gleich zu Beginn wird die Überlegenheit traditioneller Partnerschaftserziehung gegenüber Alleinerziehenden vermittelt. Man bräuchte ja „zwei Flügel, um zu fliegen“. Auf Kalenderspruch-Niveau geht es weiter, wenn Ernst fragt: „Wie reagiert der Schwarm, wenn sich manche entschließen, die Richtung zu ändern?“ Queer sein, dazu entschließen sich manche eben, alles klar. Diesen hartnäckigen Mythos (im neokonservativen Diskurs geknüpft an Schlagworte wie „Phase“, „Frühsexualisierung” oder „Trend“) ergänzt später seitens Annys Verwandtschaft das Hirngespinst einer sexuellen Umorientierung durch Verführung.
Sowohl Statements als auch Reaktionen bekräftigen die Fehlannahme, nicht-heterosexuelle Orientierung sei ein erworbenes Verhalten – eines, das aus Sicht der Mütter und mehr noch ihrer Verwandten unerwünscht ist. Pedi und Anny erscheinen hier nicht als gute Eltern, weil queer und straight gleichwertig sind, sondern weil ihre Queerness sie nicht von einer heteronormativen, genderistischen Kindererziehung abhält. Teil dieser Queerfeindlichkeit und Misogynie vermischenden Ideologie ist ein heterosexistisches Gender-Rollenbild von starken, aktiven Männern und hysterisch-häuslichen Frauen.
Deren Überpräsenz droht Söhne angeblich ebenfalls zu verweichlichen – oder noch schlimmer, zu schwulisieren. Da braucht es trotz der Masse männlicher, weißer, cishet Vorbilder in Medien und Gesellschaft viele männliche Bezugspersonen. Wie Annys Bruder Carsten, der zuschlagen für eine bessere Erziehungsmaßnahme hält als reden. Wenn seine Partnerin Adoptivfamilien abwertet, ist das ähnlich wie Pedis und Annys kirchliche Trauung Teil eines das CDU/AfD-Familienideal anstrebenden Neokonservativismus, der eine totale Assimilierung an fragwürdige Ideologien als Toleranz verkauft.
Regenbogen-Reaktionismus. Klingt paradox, aber Annette Ernsts Langzeit-Doku schafft davon ein unangenehm konkretes Bild. Das Porträt eines privilegierten, gebärfreudigen, kirchlich getrauten Frauenpaares bestätigt heterosexistische Dogmen, statt sie aufzuzeigen und zu widerlegen. Der englische Titelzusatz wirkt ironisch, so beflissen wird vermittelt, dass Regenbogeneltern nichts anders machen. Umfassende Alltagseinblicke entstehen nicht. Die endlose Abfolge von Familienausflügen und Freizeitspaß ohne Konflikte, Krisen und Corona wirkt mehr wie ein Werbefilm: nicht für Gleichberechtigung und Diversität, sondern die LSU.
- OT: MUTTER MUTTER KIND – Let’s do this differently
- Director: Annette Ernst
- Screenplay: Annette Ernst
- Country: Germany
- Year: 2021
- Running Time: 97 min.
- Cast: Marc Oliver Schulze, Barbara Stollhans
- Release date: 20.10.2022
- Image © JIP Film und Verleih