Wohin die dramaturgische Reise in Hettie Macdonalds zweiter Kinoinszenierung geht, auf die sich Jim Broadbent als der titelgebende Provinz-Pensionär begibt, verrät schon das Signalwort „Pilgerreise“. Wer das übersieht, dem liefert die rührselige Romanverfilmung eine Reihe zunehmend penetranter Bezüge zum religiösen Subtext. Dass Rachel Joyce basierend auf ihrer gleichnamigen Buchvorlage verfasstes Drehbuch den erst verleugnet, unterstreicht die Manipulativität der eklektischen Erweckungsmär. Darin macht sich mal wieder ein emotional verkümmerter alter weißer cis Männer auf eine unnötig mühsame Tour, an deren Ende geistige Erweckung wartet: in Harolds Fall Vergebung. Nicht nur von seiner todkranken Ex-Kollegin Queenie (Linda Bassett), an deren Sterbebett er wandert.
Auch Gattin Maureen (Penelope Wilton), die während des wachsendes Medieninteresse weckenden Trips ihres Gatten entsprechend der gestrigen Genderbilder sorgenvoll daheim sitzt, muss verzeihen – und natürlich der prototypische Protagonist sich selbst. Je mehr die Rückblenden allerdings seine Schuld enthüllen, desto zynischer wirkt die „Vergeben, vergessen, von vorn anfangen“-Message. An der gibt es offenbar breiten Bedarf in Zeiten, in denen zumindest ein paar der privilegierten Patriarchen von einst sich für ihre Vergehen verantworten müssen. Der aus The Last Bus, A Straight Story und Forrest Gump zusammengeflickte Plot interessiert sich nicht im geringsten für die Opfer Harolds Egoismus, den die pathetische Pilgerfahrt krönt.
„Maybe it‘s just what the world needs right now: a little less sense, a little more faith“, tönt eine der klerikalen Kitsch-Phrasen, die angesichts des eskalierenden Fundamentalismus und religiöser Radikalisierung halb aberwitzig halb alarmierend wirken. Den kompetenten Cast Hettie Macdonalds generischer Glaubensgeschichte ist ein schwacher Ausgleich für den paternalistischen Pathos der lahmen Inszenierung. Deren verlogene Versöhnlichkeit gilt nicht zufällig den pensionierten Profiteure der Thatcher-Ära, die der jungen Generation die Zukunft verbaut haben.
- OT: The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry
- Director: Hettie Macdonald
- Screenplay: Rachel Joyce
- Country: UK
- Year: 2023
- Running Time: 118 min.
- Cast: Jim Broadbent, Penelope Wilton, Monika Gossmann, Joseph Mydell, Joanne James, Nina Singh, Georgina Strawson, Maanuv Thiara, Bethan Cullinane, Marvin Brown, Jimmy ‘The Bee’ Bennett, Nick Sampson, Sharon Forbes, Mark Collier, Richard Waring
- Image © Constantin