Die Funktion der Hunger Games sei den Leuten zu zeigen, wie sie wirklich sind, erklärt Viola Davis als intrigante Spielemacherin Volumnia Gaul in einem der bedeutungsschwer vorgetragenen Moral-Monologe, der ebensogut Suzanne Collins Bestseller-Vorlage meinen könnte und im weiteren Sinne deren Verfilmung. Das seine römischen Referenzen und anti-sozialistischen Analogien wie die 2015 beendete Trilogie mit dem Vorschlaghammer unterbreitete Prequel fungiert auf bizarre Weise tatsächlich als Spiegel einer auf Macht, Materialismus und Monetarisierung ausgerichteten Maschinerie dumpfen Spektakels, dessen junge Protagonisten mit theatralischen Aktionen Publikumssympathie gewinnen. Allerdings ist das nicht Francis Lawrence passend zum neo-konservativen Klima inszenierte Angstvision rechts-reaktionärer Republikaner, sondern die Franchise-Schmiede.
Deren jüngstes Produkt, das 64 Jahre vor den Ereignissen des ersten Films die formative Entwicklung Coriolanus Snows (Tom Blyth) zu Panems zukünftigem Präsidenten erzählt, degradiert Handlung und Figuren zu Vehikeln der vordergründigen Metaphorik. Die an ein Computerspiel erinnernden CGI-Kulissen sind eine bizarre Fusion von Michael Radfords 1984, Nazi-Memorabilia und Sowjet-Signalbauten; eine totalitäre Topographie mit ebenso unmissverständlicher Aussage wie die Country-Songs der für die Spiele ausgewählten Lucy Gray Baird (Rachel Zegler). Um das von seiner Elitefamilie erhoffte Stipendium zu erhalten, muss Snow die wenig subtil („subtil“ existiert in Suzanne Collins Romanwelt nicht) als Ahnin Katniss Everdeens etablierte Schlangenbeschwörerin maximal medienwirksam präsentieren.
Die jungen Hauptdarstellenden und ihre exzellenten schauspielerischen Folien wie Davis oder Peter Dinklage als Snows Dekan Casca Highbottom bringen immerhin etwas Leben in die eindimensionalen Charaktere. Deren Tendenz zu biologistischem Determinismus sowie der Verknüpfung nicht-normativer Physis mit Antagonismus macht noch deutlicher, dass die Zitate faschistischer Ästhetik nicht der Ablehnung entsprechender Ideologie dient, sondern dessen Gleichsetzung mit Sozialismus. Eine ähnlich krude Konfusion sind die Bewohnenden Lucys Distrikts, die in ihren laufstegreifen Lumpen wie Karikaturen Steinbeck‘scher Arbeiterarmut aussehen und wie die vorgeblich hungernde Bevölkerung wohlgenährt und fit wirken. Ohne die Action und alberne, aber effektive Atmosphäre der Vorgänger bleibt nur noch eine in kurioser Maskerade aufgeführte Message.
Überlang und dennoch unfertig, zerfallen die drei Handlungskapitel in ein Konglomerat theatralischer Tropen, vollgestopft mit manipulativer Melodramatik, romantisierter Rebellion und pubertärem Pathos. Das in aberwitzigem Kontrast zur brutalen Prämisse bezeichnend blutleere und biedere Szenario erstickt Spannung und Dramatik zugunsten der pädagogisierten Polemik im Kern des reaktionären Revivals. Daran reichen einzig die verlässlichen Schauspielenden und solide Kameraarbeit an das cineastische Level, das der grandiose Gestus suggeriert.
- OT: The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes
- Director: Francis Lawrence
- Screenplay: Michael Lesslie, Suzanne Collins, Michael Arndt
- Country: USA
- Year: 2023
- Running Time: 157 min.
- Cast: Rachel Zegler, Peter Dinklage, Tom Blyth, Viola Davis, Dexter Sol Ansell, Rosa Gotzler, Clemens Schick, Fionnula Flanagan, Tom Blyth, Hunter Schafer, Ashley Liao, Athena Strates, Joshua Kantara, Amélie Hoeferle, Kaitlyn Akinpelumi, Florian Burgkart, Ayomide Adegun, Aaron Finn Schultz, Max Raphael, Mekyas Mulugeta
- Image © Leonine