Wenn es einem Film gelingt, gleich zweimal Frankie Goes To Hollywoods epische Pop-Ballade The Power of Love gleich zweimal, davon einmal in voller Länge, auszuspielen, ohne in klebrigen Kitsch abzudriften, ist das für sich schon eine Leistung. Nicht nur die macht Andrew Haighs metaphysische Meditation über Einsamkeit, Erinnerung und die Chance auf Erlösung zu einem jener seltsamen cineastischen Kleinode, die in einer von Franchises und Remakes dominierten Filmwelt so verloren wirkt wie der verschlossene Hauptcharakter.
Drehbuchautor Adam (Andrew Scott) lebt am Londoner Stadtrand in einem jener nahezu menschenleeren Apartmentblocks, die ebensogut gerade erbaut wie kurz vor dem Abriss sein könnten. Dieser undefinierbare Schwebezustand zwischen Dasein und Nichtsein ist in vielerlei Hinsicht paradigmatisch für die schwermütige Spukstory. Darin erscheinen die übernatürlichen (oder imaginären) Elemente mit einer Selbstverständlichkeit, die das Trennen von Gegenwart und Vergangenheit mitunter schwer macht – wie auch das von Lebenden und Toten wie Adams Eltern (Claire Foy, Jamie Bell).
Ihren frühen Verlust durch einen Autounfall ist mitverantwortlich für Adams Isolation, die ein nächtliches Anklopfen seines depressiven Nachbarn Harry (Paul Mescal) aufbricht. Mit jedem Besuch bei seinen Eltern, die ihn in seinem Heim wie damals erwarten, lässt Adam den jüngeren Harry etwas mehr in sein Leben. Die Versöhnung mit Kindheitskonflikten macht das Loslassen nicht einfacher, aber möglich. Adam öffnet sie im doppelten Sinne die Tür zur bisher ausgesperrten Realität, die Schmerzliches bringt, aber auch Liebe.
Die märchenhafte Natürlichkeit, mit der Andrew Haighs hervorragendes Ensemble agiert, nimmt dem geisterhaften Geschehen nicht nur das Unheimliche, sondern Unwirkliche. Gespenster sind in der trotz ihrer Naivität anrührenden Allegorie ein universelles Gleichnis der unaufgelösten Differenzen, die den Protagonisten hemmen. Jenen Selbstverlust in der Vergangenheit forciert die urbane Vereinsamung, aus der die Romanze wächst. Der wahre Schrecken in den von einem melancholischen Schleier umgebenen Szenen ist nicht der Tod selbst, sondern allein und unbetrauert zu sterben.
- OT: All of Us Strangers
- Director: Andrew Haigh
- Screenplay: Andrew Haigh
- Country: UK
- Year: 2023
- Running Time: 105 min.
- Cast: Andrew Scott, Paul Mescal, Carter John Grout, Jamie Bell, Claire Foy, Ami Tredrea, Cameron Ashplant, Lincoln R. Beckett, Jack Cronin, Christian Di Sciullo, Oliver Franks, Hussein Kutsi, Gsus Lopez, Jack Pallister, Guy Robbins, Darren Ryames
- Image © Walt Disney