Auf der Berlinale, wo Piero Messina sentimentale Science-Fiction-Mär ihre Premiere feiert, wirkt die stylische Schnulze über menschlich manifestierte Erinnerungen und die Weigerung eines irrationalen Ichs die Absolutheit des Todes zu akzeptieren wie die maßgeschneiderte Mainstream-Fassung eines weniger glattgebügelten, weniger weichgespülten Beitrags. Das ist Yorgos Zois Arcadia aus der Sektion Encounters, in der Messinas pathetische Mischung aus Utopie und Dystopie besser aufgehoben wäre als im Wettbewerb. Dort amplifiziert die pseudophilosophische Romanze auf kuriose Weise das Handlungsdilemma.
Nach dem durch ihn verschuldeten Unfalltod seiner Partnerin Zoe (Renate Reinsve) verzehrt sich Sal (Gael García Bernal) vor Trauer und Gewissensbissen, die seine Schwester Ebe (Bérénice Bejo) mittels einer Art seelischen Surrogats lindern will. Zoes archivierte Erinnerungen werden für kurze Zeit in den Körper einer bezahlten Ausleihenden transplantiert, damit Sal sich von ihr verabschieden kann. Doch die Extrazeit im Schatten des Todes machen das Loslassen nicht leichter und bringt Sal an ethische und existenzielle Grenzen.
Der Plot kreist genauso um die identitäre Diskrepanz zwischen Körper und Geist wie um den zwischenmenschlichen Drang zur Projektion auf emotionaler und optischer Ebene. Wir sehen, was wir sehen wollen, erklärt ein Mitarbeiter des titelgebenden Programms die Crux anhand eines bekannten Kippbildes. Jenes wird stattdessen zum Emblem für die Tendenz des Regisseurs und Co-Drehbuchautors zur dialogischen und szenischen Überexposition. Dadurch ist nicht nur der als spektakuläre Enthüllung aufgeplusterte End-Twist lange vorhersehbar, sondern sämtliche Schritte dorthin.
Von den mechanischen Darstellungen über das synthetische Industrie-Design bis zum elektronischen Soundtrack erstarrt Piero Messinas futuristisches Beziehungsdrama im generischen Glanz einer Prestige-Produktion. Der prätentiösen Inszenierung fehlt jedes Bewusstsein für die im Plot aufgeworfenen moralischen und medizinischen Fragen sowie inhärent klassistischen Konflikte des Szenarios, in dem die Unterschicht der Mittelschicht einen Teil ihrer Lebenszeit nicht nur verkauft, sondern komplett abtritt. Fazit: Weitermachen, wenn Schluss sein sollte, ist nur künstlich verlängertes Leiden – im Leben und im Kino.
- OT: Another End
- Director: Piero Messina
- Screenplay: Piero Messina, Giacomo Bendotti, Valentina Gaddi
- Country: Italy
- Year: 2024
- Running Time: 129 min.
- Cast: Gael García Bernal, Renate Reinsve, Bérénice Bejo, Olivia Williams, Philip Rosch, Pal Aron, Tim Daish, Amina Ben Ismaïl, Michael Maggi, Kathleen Hagen, Dami Olukoya
- Image © Indigo Film