Die metaphorische Mehrdeutigkeit des Titels Jia Zhang-Kes epischen Zeitbilds, mit dem der chinesische Regisseur zum sechsten Mal im Wettbewerb von Cannes vertreten ist, antizipiert die faszinierende Vielschichtigkeit eines schauspielerisch, stilistisch und strukturell gleichsam mesmerierenden Dramas. Dessen historischer Handlungsbogen gleitet schwerelos zwischen Liebesdrama, Nationalchronik und dem Porträt einer verlorenen Generation. Jener gilt das Hauptinteresse des Filmemachers, zu urteilen nach dessen favorisierter Übersetzung „The Romantic Generation“. Zu der gehören auch die in den dokumentaristischen Szenen versteckten Hauptfiguren.
Die von Zhao Tao, der langjährigen Stammdarstellerin und Gattin des Regisseurs, verkörperte Qiaoqiao hofft im Zuge Chinas zaghafter globaler Öffnung auf ein Versprechen von Schönheit und Freiheit, das überschattet von architektonischen Relikten des Kommunismus wie eine Utopie wirkt. Das Schmetterlingsmotiv, mit dem der diegetische Soundtrack, Kostüme und Hintergrunddetails sie wiederholt in Verbindung bringen, suggeriert eine Unbeständigkeit und Unbändigkeit im Kontrast zum nüchternen Pragmatismus ihres On/Off-Lovers Brother Bin (Li Zhubin), der sie für Karriereaussichten zurücklässt.
Qiaoqiaos Suche nach ihm, die sie quer durch das in einem durch die wechselnden Film-Formate akzentuierten Wandel begriffene Land führt, verschmilzt untrennbar mit dem Lauf der Geschichte. Letzte ist auch die Jias, der Archivmaterial und Ausschnitte früherer Filme zu einer immersiven Mischung aus Chronik und Collage. Der inszenatorische Eingriff in das teils dokumentarische Material wird zum subtilen Synonym der individuellen Sicht auf eine vermeintlich gemeinsame Geschichte, deren Definition so vielfältig sind wie die persönlichen Perspektiven.
Opernarie und romantische Volksballaden sind in Jia Zhang-Kes retrospektiver Romanze das wehmütige Echo einer Vergangenheit, deren Versprechen von Glück sich als so fragil entpuppt wie das einer mit schwindelerregendem Tempo heran rasenden Zukunft. Fragmente des eigenen Oevres sind Teile des überwältigenden Fundus authentischer Zeitdokumente. Jene verbinden die einander mal anziehenden, mal abstoßenden Lebenswegen zweier Menschen zu einem monumentalen Mosaik, dessen raue Optik und opaker Plot das Politische und Persönliche mit technischer und narrativer Virtuosität verbinden.
- OT: Feng Liu Yi Dai
- Director: Jia Zhang-Ke
- Screenplay: Jiahuan Wanb
- Year: 2024
- Distribution | Production © Ad Vitam