Tatsächlich handelt es sich bei Rolf Peter Kahls Kinofassung Peter Weiss nicht um eine Verfilmung im eigentlichen Sinne. Es ist die bewusst minimalistisch gehaltene Abfilmung eines Bühnenstücks, die keinen Moment versucht, die theatrale und orchestrale Form der musikalisch begleiteten Aufführung zu kaschieren. Die durch die Leinwand unweigerlich errichtete Distanz zum Geschehen, das im Theater buchstäblich greifbar ist, dämpft den Effekt des Materials einerseits, andererseits öffnet die quasi-dokumentarische Doppelung den Blick auf die historische Relevanz der Zeugnisse.
Jene sind der Kern des wortwörtlichen Schau-Prozesses, den Weiss den Angeklagten der ersten Auschwitz-Prozesse, die von 1963 bis 1965 in Frankfurt stattfanden, macht. Wohlwissend, dass die Täter nur höhnisch geringe Strafen erhielten und es Gerechtigkeit für die Abgründe unmenschlicher Verbrechen nicht geben kann. Jedenfalls nicht in dieser Welt, nach dem spirituellen Konnotation der Vorlage, angelegt als erster Teil einer modernen Analogie zu Dantes Göttlicher Komödie. Nicht nur diesen weltliterarischen und religiösen Kontext entbehrt die in unterkühlte Filmversion.
Die dramatische Reduktion spiegelt die formelle Strenge. Auf schwarzer Bühne drei Standmikrophone, vor die Zeug*innen treten. Im Hintergrund Stuhlreihen mit den Angeklagten und das Orchester. Ein Richter (Rainer Bock), der Staatsanwalt (Clemens Schick) und ein Verteidiger (Bernhard Schütz). Hartes Licht fällt auf die Sprechenden in schlichten Kostüme. Der Verzicht auf Kolorit gibt den Berichten der niederschmetternd vertrauten Gräuel die Implikation des Ort- und Zeitlosen. Es kann jederzeit wieder geschehen. Überall – aber am meisten hier.
Die systematischen Grausamkeiten, der spöttische Sadismus der Täter, die Beamten-Brutalität der Schreibtisch-Verbrecher und Koordinatoren des organisierten Massenmordes, die selbstgerechte Schuldverleugnung der kleinen und größeren Räder im Getriebe des Nazi-Mordapparats: Die Fakten, die Rolf Peter Kahls in ihrer stilisierten Sachlichkeit fast abstrakt anmutende Adaption Peter Weiss‘ Prozesschronik festhält, sind bekannt. Funktion und Relevanz der vierstündigen Tortur liegt darin, sie über den Theaterraum hinaus zugänglich zu machen. Die Inszenierung ist solide, das Schauspiel zuverlässig. Schulkino für Erwachsene.
- OT: Die Ermittlung. Oratorium in elf Gesängen
- Director: Rolf Peter Kahl
- Screenplay: Peter Weiss
- Year: 2023
- Distribution | Production © Leonine