Die wohl für alle werdenden Eltern wichtigste Frage, ob das Kind gesund ist, hat in Eva Libertads persönlichem Beziehungsdrama eine besondere Gewichtung. Diese versteckte Bedeutung schwingt jedes Mal mit, wenn die Frage gestellt wird: im Freundeskreis, von den Eltern, schließlich auch von den zukünftigen Eltern selbst. Ángela (Miriam Garlo) und Héctor (Álvaro Cervantes) sind ein glückliches Paar. Dass Ángela fast gehörlos ist und ihr Partner hörend, ist für ihre Liebe kein Faktor. Aber es wird einer, als das Baby unterwegs ist.
Beider Vorfreude auf den Nachwuchs überschattet zunehmend die Ungewissheit, ob das Kind hören können wird oder nicht. Alle versichern beflissen, dass es egal sei. Aber so einfach ist das nicht, besonders nicht für die zukünftige Mutter. Auf der einen Seite möchte sie für ihr Kind nicht die Benachteiligung gehörgeschädigter Menschen, die in prägnanten Szenen greifbar wird. Selbst in ihrem auf den ersten Blick idealen Umfeld lauern Vorurteile, Bevormundung und Unverständnis. Das ist die Welt der Hörenden, sagt Héctor einmal im Streit.
Die Haltung dahinter ist anmaßend, doch die Beobachtung zu trifft zu: Der soziale Alltag ist zugeschnitten auf die Bedürfnisse und Sensorik hörender Menschen. Wenn das Kind hören kann, wird es in dieser Welt auf eine Weise dazugehören, die Ángela verwehrt bleibt. Die komplexen und widersprüchlichen Gefühle, die erst mit der Frage und nach der Geburt der Tochter mit der Antwort verbunden sind, vermittelt Garlo mit naturalistischer Intensität. Jene ruht ihrem eigenen Erleben, dass ihre Schwester Eva Libertad zu beider berührender Zusammenarbeit bewegte.
Die vielschichtige Beziehung zu einer sensorischen Beeinträchtigung, die von der breiten Gesellschaft immer noch als Makel aufgefasst wird, erkundet die Regisseurin mit ebenso viel Feingefühl wie Differenzierung. Ángela ist als eine fiktive Version Miriam Garlos keine perfekte, aber immer wahrhaftige Figur. In der schon für sich emotional herausfordernden Zeit der Schwangerschaft muss sie sich einem besonderen emotionalen Dilemma stellen. Dabei versteift sich die unbefangene Inszenierung nicht auf den privaten Konflikt, sondern beleuchtet beiläufig auch gesellschaftliche Reaktionen auf Handicaps, individuell und abstrakt.
Die familiäre Nähe der Regisseurin und Drehbuchautorin zu ihrer Schwester und Hauptdarstellerin, deren persönliche Erfahrungen das nuancierte Drama inspirierten, durchdringt jede Szene. Oberflächlich betrachtet geschieht nicht viel in dem organisch verwobenen Filmstoff aus Beziehungsbild und Charakterstudie. Umso bedeutsamer sind die inneren Entwicklungen der Figuren. Deren Mikrokosmos liefert einen erfrischend selbstverständlichen, bestechend authentischen Einblick in eine viel zu selten auf der Leinwand gezeigte Lebensrealität. Deren Hürden und Zwiespälte sind zugleich konkret und universell; frei von künstlicher Tragik und voll glaubhaften Gefühls.
- OT: Sorda
- Director: Eva Libertad
- Screenplay: Eva Libertad
- Year: 2025
- Distribution | Production © Latido Films