Braucht es 150 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen Johanna Spyris Kitsch-Klassikers wirklich eine Neuverfilmung eines Kinderbuchs, das mindestens ebenso sehr für seinen rigorosen Ableismus, Klassismus und Klerikalismus bekannt ist wie für Alpen-Idylle und Heimat-Schnulz? Tobias Schwarz und Co-Regisseurin Aizea Roca Berridi antworten darauf mit einem emphatischen Ja, nehmen aber dankenswerterweise das Original nur als Vorlage-Szenario einer eigenen Geschichte. Dass die laut Verleih-Versprechen „treu dem Geist“ des Romans angelegt ist, lässt kaum Bewusstsein für dessen Problematik erwarten.
Die der Ästhetik der populären TV-Serie von Nippon Animation (damals noch Zuiyo Eizo) empfundene Story ist denn auch ein ambivalentes Vergnügen. Dessen pittoreske Szenarien, auf maximale Niedlichkeit getrimmte Optik und simple Handlung verzichten auf jeden Ansatz von Düsterkeit, Bedrängnis und Komplexität. Die Handvoll Charaktere entsprecht einem plumpen Gut-Böse-Schema. Heidi ist natürlich die allerbeste und der ortsfremde Forstwirtschaftsunternehmer Schnaittinger (Max Giermann), der ein Sägewerk bauen will, sofort als Schurke erkennbar. Psychologische Nuancen existieren so wenig wie moralische Grauzonen.
Selbst die Luchs-Mutter, deren Junges Heidi aus einer Schnaittingers Fallen rettet und gesund pflegt, darf kein anderes Tier erlegen. Obwohl die Ökomessage ein zeitgemäßes Update darstellt, erscheint Fortschritt als einseitig schädlich und Schnaittinger als das Stereotyp des vertrauensunwürdigen Fremden. Zwar betet Heidi nun statt zu Gott zu den Bäumen, doch der Neubau der abgebrannten Dorfkirche erscheint dennoch als vorderste Notwendigkeit – in einem Ort, der augenscheinlich weder Schule noch Krankenhaus hat. Der perfekte Kinderfilm – für CDU-Wählerschaft.
Die rustikale Heimeligkeit, soziale Stabilität und familiäre Geborgenheit, in der bekannte Titelheldin ihr harmloses Abenteuer erlebt, dürften von der Lebensrealität der meisten Kinder weit entfernt sein. Doch diesem Eskapismus verdankt der süßliche Stoff eben seinen Erfolg. Den wird Tobias Schwarz‘ auf die allerjüngsten im Kinopublikum zugeschnittenes Heimatmärchen sicher fortsetzen. Tadellose Animationen mit naturtreuen Details, drollige Tier-Protagonisten und eine im Guten wie im Schlechten massentaugliche Message liefern bieder-brave Zerstreuung, die im Idealfall vom unsäglichen Original ablenkt.
- OT: Heidi – Rescue of the Lynx
- Director: Tobias Schwarz, Aizea Roca Berridi
- Year: 2024