Die unübersehbaren Parallel Ugo Bienvenus animierten Langfilm-Debüts zu Laputa: Castle in the Sky zeigen noch deutlicher die visuellen und dramaturgischen Schwächen der verspielten Science-Fiction-Fabel. Deren vordergründige Motive von Klimawandel, familiärer Trennung und ambivalentem technologischen Fortschritts bleiben so flach und generisch wie die Bilder. Letzte stehen in auffälligem Kontrast zum konfrontativen Realismus des animierten Kurzfilms des Regisseurs und Co-Drehbuchautors. Seine mit Félix de Givry verfasste Story begegnet dem kindlichen Titelhelden in der fernen Zukunft des Jahrs 3000.
Dort lebt Arco (Stimme: Louis Garrel) mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester in einem kuppelartigen Häusern auf baumartigen Strukturen, die scheinbar schwerelos in den Lüften treiben. Ob sich diese Gebilde im Weltraum schweben oder über der Erde und ob diese überhaupt noch existiert, bleibt unklar. Genauso rätselhaft ist die Nahrungs-, Strom- und Wasserversorgung dieser Gesellschaft. Dass deren repräsentative Gemeinschaft abgesehen von ein paar modischen Abweichungen einem konservativen Mittelklasse-Haushalt gleicht, markiert die reaktionären Untertöne der naiven Handlung.
Laut der sind das binäre Gender-Konzept und traditionalistische Rollenverteilung in fast zweitausend Jahren die einzige denkbare Lebenskonstellation. Mama steht am Herd und kocht, Papa hingegen erforscht die Pflanzen, die Arcos Familie von den mittlerweile ganz selbstverständlichen Zeitreisen mitbringt. Würde das Universum nicht kollabieren, wenn allernächster Lust und Laune Zeitreisen können? Auch darüber hat sich das Autoren-Duo augenscheinlich nie Gedanken gemacht. Die einzige Regel, die in ihrer kinderbuchbunten Welt dafür existiert, ist: erst ab 12 Jahre.
Zeitreisen sind offenbar das Achterbahn-Pendant der Zukunft. Klar, das Arco entgegen der Anordnung seines Vaters auch mit einem der dazu erforderlichen Regenbogencapes durch die Zeit brausen will. Ein missglückter Erstversuch führt ihn ins Jahr 2075 zur gleichaltrigen Iris (Natalie Portman). Verfolgt von drei Amateur-Alien-Jägern suchen die Kinder nach einer Möglichkeit, Arco zurück in seine Zeit zu bringen. Die Slapstick-Jagd erhält mehr dramatischen Raum als die komplexen Themen von Ökologie und elterlicher Vernachlässigung, die rein dekorativ erscheinen.
Als Kinder dauerabwesender Eltern wachsen Arco und Iris praktisch allein auf. Eine tiefere emotionale Wirkung hat diese Gemeinsamkeit nicht. Ebenso beeinträchtigen die Orkane, die in Iris Zeitebene toben, nie das friedliche Idyll ihres vorstädtischen Wohnorts. Dessen bauten schützen Kraftfelder, die Wetterextreme abwehren. Zwar negiert der Plot nicht den Klimawandel, aber dessen Bedrohung. Technischer Fortschritt erhält ein Überflusssystem, dessen Angehörige allesamt weiß, able-bodied, mittelständisch und – sofern ersichtlich – cis-hetero sind. Ein unangenehm elitaristischer und exklusiver Eskapismus.
Hinter der farbenfrohen Naivität Ugo Bienvenus idealistischen Sci-Fi-Szenarios verbirgt sich ein geschickt kalkulierter Konservativismus. Die zeichnerisch simplen Bilder, die an einen blassen Abklatsch der grandiosen Ghibli-Optik aussehen, setzen normative und konformistischen Sozial- und Familienkonstellationen mit Frieden, Freiheit, Sicherheit und Fortschritt gleich. Diversität in irgendeiner Form existiert nicht. Klimaveränderungen sind dank utopischer Technologien lediglich ein visuelles Spektakel. Weibliche Innovation wird auf männliche Inspiration zurückgeführt und somit de facto negiert. Technokratie und Traditionalismus schaffen eine intellektuell, visuell und dramatisch gleichsam dumpfe Symbiose.
- OT: Arco
- Director: Ugo Bienvenu
- Year: 2025