Eine schräges Update von Arielle, eine parodistische Parabel der ambivalenten Beziehung einer technokratischen Zivilisation zur Natur und ein postmodernes Märchen über die idealisierende und desillusionierende Wirkung romantischer Gefühle: Yasuhiro Aokis animiertes Langfilm-Debüt ist von allem etwas und trotzdem eine ganz eigene Story. Die zitiert und variiert klassische Tropen aus Film- und Fabelwelt, ohne ihren skurrilen Stil aufzugeben. Dies entspricht der zeitlosen Message der eigenwilligen RomCom. Jene verkehrt das unerbittliche Assimilationsdogma Hans Christian Andersens und Disneys in eine Affirmation von Authentizität und Aufrichtigkeit, gegenüber sich selbst und anderen Menschen – oder Meerwesen.
Beide leben in der utopischen Welt des in schillernden Farben strahlenden Animes harmonisch zusammen. Einigermaßen harmonisch jedenfalls. Der rücksichtslose Umgang der (Land)Menschen mit den Meermenschen und sagenhaften Unterwasserkreaturen, die sich ungeachtet ihres fischigen Äußeren sehr menschenhaft verhalten, gefährdet immer wieder die Gemeinschaft. Selbige wird auf die Probe gestellt, als sich Meerprinzessin Chao in den menschlichen Protagonisten verliebt. Stephen ist ein kleiner Angestellter eines Schiffbau-Unternehmens, dessen Boss in beider Liaison geschäftsförderndes Potenzial sieht. Eine Kombination aus Stolpern und Schubsen bringt ihn an die Seite Chaos, die einem gigantischen Karpfen gleicht.
Meistens jedenfalls. Als Stephen nach anfänglicher Irritation über die animalischen Angewohnheiten seiner Verlobten schließlich zärtliche Gefühle entwickelt, zeigt sie sich konventionell attraktiver. Diese Wandlung in ein klassischeres Bild einer Meerjungfrau ergibt zwar eine passable Metapher für subjektive Schönheit, enthüllt aber auch die Konventionen der Inszenierung. Die ist doch nicht so aufgeschlossen für das Groteske und Karnevaleske, das Aokis Zeichnungen zelebrieren. Unschöne Love Interests können Stephen, seinem heimlich verliebten besten Kumpel und dem naiven Reporter einer pointierten Rahmenhandlung nicht zugemutet werden. Das Bizarre ist nur eine vorübergehende Probe – auch auf der Leinwand.
Der Name der Titelfigur erinnert wohl nicht zufällig an Chaos. Yasuhiro Aoki scheint visuell und dramaturgisch ganz in seinem Element, wenn er seiner Imagination freien Lauf lässt. Die Bewohnenden des phantastischen Unterwasserreichs, in dem er sein temporeiches Anime-Debüt ansiedelt, erinnern mit ihren übertriebenen Proportionen, monströser Mimik und chimärenhaften Charakteristika an Zeitungskarikaturen oder Yūrei-zu, klassische Zeichnungen von Geister und Dämonen. Diese visuelle Originalität ist ein angenehmer Kontrast zur angepassten Optik vieler Mainstream-Animationsfilme. Zeitgemäße Themen wie Umweltbewusstsein, Berufsdruck und Selbstzweifel nehmen das kindliche Publikum ernst und setzen ein Gegengewicht zu den rabiateren Gags.
- OT: ChaO
- Director: Yasuhiro Aoki
- Year: 2025