Akzeptiere nie etwas als wahr, dessen Wahrhaftigkeit nicht erwiesen ist. Mit diesem ersten Grundsatz Descartes beginnt Adilkhan Yerzhanovs allegorischer Abstieg in die Abgründe von Gehorsamsgeist, militaristischen Machstrukturen und moralischem Verfall. Oberflächlich eine Warnung vor den mysteriösen Vorgängen und Vertuschungen an der Militärakademien, an der sich das gespenstische Genre-Werk entfaltet, ist das Zitat eine unterschwellige Kritik an Propaganda und Indoktrination. Beide haben einen klaren Gegenwartsbezug in Yerzhanovs kasachischer Heimat. Deren ideologisches Erbe seziert die verstörende Studie post-sowjetischen Konformismus ebenso wie die zeitaktuelle Militarisierung.
Visuell asketisch und formal rigoros, entwirft der Regisseur und Drehbuchautor ein beklemmendes Bild autoritärer Übermacht, die systematisch die im kollektiven Unterbewusstsein verankerten Denkmuster aus der Sowjetära ausbaut. Die Militärakademie wird zum Mikrokosmos eines Systems, das Kontrolle durch physische und psychische Gewalt, Rituale und Konformismus aufrechterhält. Hierhin bringt den Protagonisten (beunruhigend glaubwürdig: Newcomer Serik Sharipov) seine Mutter Alina (Starchenko), die als einzige Lehrerin an der Akademie Geschichte unterrichten wird. Die trügerisch fragile Akademikerin ist nicht nur mitschuldig, sondern Initiatorin der brutalen Transformation ihres Sohnes.
Martialische Männlichkeitsbilder und Misogynie identifiziert die von lakonischer Strenge geprägte Inszenierung als Wurzel des entmenschlichenden Systems. Der nur als Oberst (Aleksey Shemes) angesprochene Schuldirektor zeigt unmissverständlich seine Verachtung für Frauen, Alina fürchtet, ihr Sohn sei „nicht Mann genug“ und „wie ein Mädchen“. Schon minimale Abweichungen von Uniformitäts-Zwang machen den stillen Serik zum untersten Rang in den eherne Hierarchien und Opfer eines klandestinen Kults sadistischer Rituale. Jene pervertierten Spiele sind eine Vorstufe der verrohten Muster, die Seriks Vorgänger in den Suizid trieb.
Ein weiterer Todesfall ruft einen Ermittler (Ratmir Yusupzharov) auf den Plan, der das infernalische Räderwerk des Militärapparats offenlegt. Angesiedelt in brutalistischer Architektur und bevölkert von Kadetten in Knastuniformen, konzipiert Yerzhanov seinen psychologischen Horror-Thriller als klaustrophobisches Kammerspiel. Dumpfe, niedrige Innenräume, labyrinthartige Gänge und kränklich fahles Licht externalisieren die apodiktischen Lehrstrukturen innerhalb der Akademie. Deren Dogmen und Tradition ist auf Plakaten und unheimlichen Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden allgegenwärtig. Eine beständige Mahnung an das nationalistische Gewicht der Institution, deren Verhaltenskodex über dem Gesetz steht.
In einer frühen Szene Adilkhan Yerzhanov finsteren Kabinettstücks läuft der junge Protagonist entlang von Schaukästen mit Soldatenfotografien, deren Gesichter ausgekratzt sind. Der Vandalismus ist ein stummer Verweis auf die Ziele eines Apparats, der Individualität durch Ideologie ersetzt. Das einsame Setting eines Betonklotzes in der eisigen Steppe verstärkt das Gefühl der Ausweglosigkeit aus dem System autoritärer Abstumpfung. Der sonore Score und die schleichenden Kameraaufnahmen kreieren ein Klima schwelender Angst und Aggression. Kafkaeske Bürokratie, perverse Lektionen und institutionalisierte Entmenschlichung schaffen ein nachhaltigeres Grauen als übersinnliche Ereignisse.
- OT: Kadet
- Director: Adilkhan Yerzhanov
- Year: 2025