“There’s no escaping from sand”, resümiert einer der Charaktere Mahde Hasans dystopischem Debüt-Dramas, dessen symbolreiche Story einen seltsam endzeitlichen Eskapismus heraufbeschwört. In einem kinematischen Kaleidoskop von hypnotischer Intensität und schemenhafter Unbestimmtheit zeichnet der bangladeschische Regisseur seine Heimatmetropole Dhaka als städtischen Spiegel einer inneren Topographie. In deren von Staub und Smog durchzogenen Straßenlabyrinth folgt die fragmentarische Handlung zwei einsamen Fremden. Emma (Victoria Chakma) leidet als Angehöriger einer ethnischen Minderheit unter täglicher Aggression, Hasan (Mostafa Monwar) entgleitet der Halt in der Mehrheitsgesellschaft.
Ihre Wege kreuzen sich nie, doch psychologische Parallelen verbinden sie. Emma und Hasan sind Sanddiebe, deren Taten eine gemeinsame Sehnsucht offenbaren. Sie braucht Sand als Katzenstreu, er will Glas daraus schmelzen. Das skurrile Szenario offenbart ihre Sehnsucht nach Bindung an die Essenz des Ortes und verweist zugleich auf Wert, Vielseitigkeit sowie ökologische und mechanische Bedeutung von Sand. Scheinbar wertlos und allgegenwärtig, ist er in Wahrheit rar und kostbar. „Ein Kubikmeter Sand ist nur ein Eimer voll“, heißt es in einer Nebenepisode.
In jene dramaturgischen Partikel, manche isoliert, andere narrativ integriert, zerfällt die Handlung sukzessive. Diese systematische Auflösung ist Analogie der unaufhaltsam um die Charaktere fortschreitende strukturelle, soziale und ökologische Erosion. Oronnok Prithibis Tonspur dringt wie ein nervöses Atmen durch die Szenerie, mal vibrierend, mal lähmend. Sand steht für die Zerbrechlichkeit der Natur und zwischenmenschlicher Beziehungen, Vergänglichkeit und Zeitlosigkeit. Sand ist Dhakas Fundament und alles, was einst von der Stadt bleibt. Das metaphorische Momentum beherrscht auch die von Stein und Staubfarben geprägte Optik.
„To see a World in a Grain of Sand…“, sinnierte William Blake – ein Zitat, mit dem Hasans gespenstische Großstadt-Fabel beginnt. Blakes Worte sind nur eines von vielen Gleichnissen, die die Inszenierung auf allen Ebenen durchziehen. Visuell, dramatisch und motivisch wird Sand zum Träger philosophischer Fragen und existenzieller Konflikte, die im urbanen Raum schemenhaft Gestalt annehmen. Licht und Farbe changieren zwischen dumpfer Realität und flirrendem Unbehagen. Hasans kryptisches Kino-Debüt schafft mit hypnotischer Atmosphäre und expressiver Ästhetik ein poröses Poem urbaner Entfremdung, emotionaler Isolation und alltäglicher Abstumpfung.
- OT: Sand City
- Director: Mahde Hasan
- Year: 2025