Die Thematik Pere Vilà Barcelós jüngsten Werks, das dem spanischen Film-Veteranen prompt eine Nominierung in Karlovy Varys renommierter Crystal Globe Competition verschaffte, scheint fast zynisch passend. Das prestigeheischende Psycho-Drama handelt von einem intimen Übergriff, der fundamentale Nachwirkungen hat, aber nur schwer als Grenzüberschreitung zu belegen ist. In eine ähnliche Kategorie fällt Barcelós Story um eine Studentin, die mit den psychischen Folgen sexueller Grenzverletzungen kämpft. In einer verletzlichen Situation ergibt sich die junge Gaia (Claud Hernández) ihrem Partner und leidet fortan stumm.
Gaias Vater (Àlex Brendemühl) merkt, dass mit ihr etwas nicht stimmt, doch die Archäologie-Studentin blockt seine besorgten Fragen ab. In einer allegorischen Anschluss-Szene aus erklärt einer ihrer Lehrer, wie schwer altertümliche Schriften zu übersetzen seien. eine Holzhammer-Metapher für die Rätsel, in denen Frauen vorgeblich sprechen. Und natürlich wollen Frauen über alles reden. Das suggeriert ihr gestelzter Dialog mit einer älteren Vertrauten. Gaia schildert ihr nicht nur den Vorfall mit ihrem Partner ausführlich, sondern liefert gänzlich unmotiviert eine halbe Selbstcharakterisierung.
Diese Unfähigkeit, Ereignisse szenisch darzustellen und Eigenschaften schauspielerisch zu vermitteln, zeigt exemplarisch die dramaturgischen Defizite der forcierten Inszenierung. Jene erstreckt sich durch den Hang zur umständlichen Exposition auf nahezu drei Stunden, in denen sich weder Dynamik noch psychologische Komplexität entwickeln. Die zentralen Motive von Trauma, Verdrängung und Bewältigung bleiben reine Behauptung, von abgegriffenen Klischees ausgehöhlt. So lässt der Regisseur und Co-Drehbuchautor seine Hauptfigur ihre Langhaar-Perücke kürzen. Nichts verrät eine weibliche Krise deutlicher als ein neuer Haarschnitt.
Ein patriarchalisches Paradebeispiel für die Verdrängung authentischer Perspektiven auf die sensible Thematik ist Pere Vilà Barceló schleppendes Schauspielkino. Das fähige Spiel der Hauptdarstellerin kann die unzureichende Charakterentwicklung nicht ausgleichen. Unter dem Deckmantel von Empathie und Solidarität werden Schuldfragen von kriminologischer, institutioneller und systemischer Ebene ins Private verlagert. Aus physischer Realität wird ein moralisches Abstraktum. Täterschaft erscheint als logische Konsequenz weiblicher Unzulänglichkeit. Die Deutungshoheit über sexuelle Gewalt behalten dabei bezeichnenderweise Männer; vor der Kamera und dahinter.
- OT: When a River Becomes the Sea
- Director: Pere Vilà Barceló
- Year: 2025