Der zyklische Verlauf der Geschichte, kollektive Erinnerung und die gespenstische Präsenz einer vermeintlich überwundenen Vergangenheit in der Gegenwart sind die vielschichtigen Themen Daniel Vidal Toches surrealen Spielfilm-Debüts. Dessen allegorisches Szenario konfrontiert eine rebellische Vergangenheit mit einer scheinbar reformierten Gegenwart, in der die alten Strukturen von Ausbeutung und Unterdrückung in maskierter Form weiterbestehen. Metaphysische Metaphern, spirituelle Konzepte und politische Zeitkritik verdichten sich zu einer visuell und inhaltlich gleichsam fesselnden Kontemplation über die Sinnhaftigkeit, Form und Möglichkeit von Revolution in der Jetztzeit.
Durch das Peru der Gegenwart, deren machtpolitische Nähe zur Vergangenheit allgegenwärtig im Handlungshintergrund präsent ist, streift ein buchstäblicher Revolutionsgeist in Gestalt von Ángel (Juan Quispe Mollenido). Nach einer Niederlage im Gefecht kehrt der junge Mann in sein entlegenes Dorf in den peruanischen Anden zurück. Doch was er als das 18. Jahrhundert kannte, ist nun das 21. Jahrhundert. Die Utopien und Ideale, für die er in den Kampf zog, sind nur noch Schemen in dieser Welt, in der die alten Hierarchien überdauern.
Gemeinsam mit der jungen Eustachia (Edith Ramos Guerra) auf der Suche nach ihrer Schwester, die falschen imperialistischen Versprechungen zum Opfer gefallen ist, zieht der verwirrte Protagonist durch eine gespenstische Landschaft gescheiterter Träume und verlorener Illusionen. Das narrative Vehikel eines Meteoriten, der den Zeitriss erklären soll, ist im Grunde überflüssig in dieser einer mystischen Traumlogik folgenden Erzählung. Angelo Faccinis Kamera bannt die Anden in gleichsam entrückte und erhabene Bilder. Die ebenso mächtige wie fragile Naturschönheit wird zum vieldeutigen Kontrast der bitteren Stimmung.
Wenn in einer Nachtszene Taschenlampen wie Irrlichter in der pechschwarzen Finsternis aufleuchten, ist dies zugleich eine subtile Analogie brüchiger Hoffnung: ein buchstäblicher Lichtblick in einer düsteren Zukunft, in der Erinnerungen greifbarer scheinen als reale Menschen. Die sonoren Klänge Inur Ateguis kongenialen Scores verleihen solchen Momenten eine phantasmagorische Unwirklichkeit. Der in meditativer Ruhe verlaufende Plot entfaltet eine tranceartige Aura. Philosophische Fragen flechten sich organisch in die parabolische Odyssee durch ein Raum-Zeit-Gefüge so brüchig wie die Konstrukte sozialer Erneuerung und ideologischer Identität.
„This upside-down world, this sick world“, nennt Daniel Vidal Toche treffend eine Ära, die aus Sicht der Unterdrückten wie eine zerstörerische Dystopie erscheint. In der magisch-realistischen Szenerie spiegeln zersplitterte Zeitlinien und anachronistische Figuren den fortdauernden Einfluss des Gestern auf das Jetzt. Der erbitterte Kampf um Ressourcen, die Marginalisierung entlang ethnischer und sozialer Linien sowie die Normalisierung plutokratischer Machtstrukturen bilden die dringlichen Themen dieses meditativen Mystery-Dramas. Hypnotische Bilder, nuanciertes Schauspiel und archetypische Figuren formen ein atmosphärisch dichtes, bisweilen undurchsichtiges Genre-Kleinod.
- OT: Le anatomía de los caballos
- Director: Daniel Vidal Toche
- Year: 2025