Es scheint zum Teil grausame Ironie, zum Teil bedrückende Vorsehung. 2013 spielte David Cunio mit seinem Zwillingsbruder und Eitan in Tom Shovals Debüt-Drama Youth die Hauptrolle eines Jugendlichen, der ein Mädchen aus der Nachbarschaft entführte. Zehn Jahre später wurde der junge Mann selbst zur Geisel. Beim Angriff auf den Nir Oz Kibbuz, in dem die Brüder mit ihren Familien lebten, wurde David mit seiner Frau und den zwei Töchtern von Hamas entführt. Ganz auf die persönliche Perspektive der Angehörigen begrenzt, schafft Tom Shoval eine eindringliche Studie von Verlust, Bangen und Trauma.
Es ist auch für den Regisseur ein spürbar emotionales Dokumentarwerk, dessen reiches Archivmaterial immer wieder zeigt, wie nah Hoffnung und Verzweiflung, Freude und Leid beieinander liegen können. Der israelische Regisseur traf die beiden Brüder erstmals beim Casting für Youth. Ihre natürliche Chemie überzeugte ihn, trotz des Mangels an Schauspielerfahrung. Premiere feierte das Drama auf der Berlinale Premiere. Fast über Nacht wurden die Brüder zu lokalen Stars, erhielten sogar auf dem Jerusalem Film Festival den Darsteller-Preis. Auch A Letter to David hat seine Premiere auf der Berlinale. Ein beklemmendes Wiedersehen.
Davids Familie wurde nach 53 Tagen freigelassen. Er selbst bliebt in Gefangenschaft. Die politischen Motive, die Verbrechen der israelischen Regierung und die Zerstörung in Gaza beendet Shoval komplett aus. Bruchstücke der Gewalt kriechen dennoch in die intimen Gespräche. Bomben-Geräusche im Hintergrund, eine spürbare Anspannung, die unsichtbar omnipräsent ist. Genau wie Davids Abwesenheit. Immer wenn er in den Spiegel schaut, sehe er ihn, sagt Eitan. Die Attacke auf den Kibbuz durchzieht gleich einer Zäsur sein Leben. Verwoben mit dem seines Bruders steht es im Zentrum – im Schatten der Aussparung des politischen Kontexts.
Die persönliche Nähe und emotionale Intimität machen Tom Shovals filmischem Brief an David Cunio zum ebenso dringlichen wie aufwühlenden Dokument. Archivbilder und Film-Ausschnitte ziehen gespenstische Parallelen zwischen Shovals fiktivem und realem Drama. Die Grenze zwischen Fiktion und Realität verwischt in diesem schmerzlichen Dokument. Dessen gewichtigstes Motive ist die Abwesenheit; sowohl des Titelcharakters als auch des geopolitischen Hintergrunds seiner Entführung. Shovals Entschluss, sich allein auf das Private zu fokussieren, um durch analytische Debatten nicht den filmischen Rahmen zu sprengen ist nachvollziehbar, doch bleibt ambivalent. Letztlich erinnert gerade diese Leerstelle bedrücktend daran, dass nichts unpolitisch ist.
- OT: Michtav Le’David
- Director: Tom Shoval
- Year: 2025