Zugleich melodisch und vage bedrohlich, symbolisiert das beständige Rauschen des Windes, das die enigmatische Soundkulisse Maria Rigels lyrischen Spielfilm-Debüts bestimmt, zugleich das stille Aufbegehren der eigenwilligen Protagonistin als auch den moralistischen Sturm, der sich gegen die zusammenbraut. Das düstere Drama der armenischen Regisseurin und Drehbuchautorin ist voll solch suggestiver Sinnbilder. Sie verleihen ihrer enigmatischen Geschichte weiblicher Autarkie und jugendlicher Zerrissenheit eine zurückhaltende Poesie, die sich nie in abstrakter Allegorik verliert. Die Verbindung zwischen den Generationen weist eine brüchige Brücke in die Moderne, die beschritten oder zerstört werden kann.
Die in einem entlegenen Dorf angesiedelte Handlung erschließt sich durch die Augen des jungen Hayk (Albert Babajanyan). Der verschlossene Teenager lebt bei seiner strengen Tante Narine (Lusine Avanesyan) und wird von den Gleichaltrigen des Ortes verspottet. Sein innerer Rückzug von der dumpfen Routine auf dem heimatlichen Hof und dem rauen Gesellschaftsklima zeigt eine stumme Dissonanz mit dem patriarchalischen System. Jene spiegelt den Geist seiner jungen Mutter Anahit (Annika Abrahamyan), die nach langer Zeit im Ausland zurückkehrt. Ihre Selbstbestimmtheit und Unkonventionalität untergraben die traditionalistischen Strukturen, die sich gegen sie wenden.
In den ablehnenden Reaktionen der Dorfbewohnerinnen zeigen sich tief verwurzelte genderspezifische Spannungen, die den post-sowjetischen Wertewandel vermitteln. Unausgesprochene Codes, abschätzige Blicke und missbilligendes Schweigen verraten die schwelenden Ressentiments, die eine Aura diffuser Bedrohung evozieren. Besonders Narine beobachtet die intuitive Verbindung Hayks und ihrer Schwester mit Neid und Ablehnung, besorgt um ihre eigene Reputation, der sie ihre persönliche Freiheit geopfert hat. Das zentrale Konfliktfeld der unaufdringlichen Handlung liegt weniger in äußeren Einschnitt als der psychologisch aufgeladenen Wechselwirkung von Kontrolle und Fürsorge, Scham und Zugehörigkeit.
Als akustisches und metaphorisches Element wird der Wind zum Schlüsselmotiv, das unausgesprochene Konflikte, emotionale Übergänge und dramaturgische Verdichtung vermittelt. Die organischen Geräusche materialisieren das Verhältnis zwischen innerer Bewegung und äußerer Starre. Ayrat Yamilovs Kameraarbeit zeichnet statische Kompositionen, gedeckte Farbgebung und formale Strenge aus. Erdige Töne dominieren die Farbpalette, aus der Anahits rote Haare hervorstechen und somit die Störung des Bestehenden unterstreichen. Frei von Romantisierung markiert die ländliche Umgebung die provinzielle Begrenzung und Isolation. Steve Brands folkloristisch angehauchte Melodien akzentuieren die archaische Verankerung der elegischen Szenerie.
Atmosphärisch dicht und ästhetisch ausdrucksvoll schafft Maria Rigels differenziertes Debüt-Drama, das in der Proxima Competition von Karlovy Vary Premiere feiert, einen markanten Beitrag zu Armeniens zeitgenössischem Autorenkino. Naturalistische Observation und stilisierte Bildgestaltung verknüpfen Einflüsse des klassischen armenischen Kinos Sergei Parajanovs mit gesellschaftskritischen modernen Themen. Coming-of-Age-Erzählung und kulturelle Momentaufnahme einer Gesellschaft im Umbruch verweben sich zu einem systemkritischen Porträt von leiser Intensität. Auch wenn die Charaktere mehr Archetypen als individuelle Persönlichkeiten darstellen, verleihen kraftvolles Schauspiel und psychologische Präzision ihnen ebenso viel Eindringlichkeit wie der filmischen Fabel.
- OT: Ayspes asatc qamin
- Director: Maria Rigel
- Year: 2025