Eine Frau auf der Suche nach der wahren Identität ihres verstorbenen Mannes, eine auf Lügen aufgebaute Beziehung, eine Reise in die Vergangenheit eines fremden Landes: Die Prämisse Tamara Stepanyans ambitionierten Spielfilm-Debüts klingt nach einem psychologischen Krimi. Doch die ruhige Inszenierung, die den eleganten Übergang der armenischen Regisseurin von dokumentarischen Werken zum Spielfilm markiert, strebt atmosphärisch und narrativ einen anderen Ton an. Daraus entspringt ein emotional ernsthaftes, doch strukturell zerfahrenes Drama, das ähnlich zerrissen wirkt, wie die Protagonistin.
Jene dient überdeutlich als Identifikationsvorlage für ein eurozentrisches Publikum, dessen bildungsbürgerliche Arthouse-Geschmack die filmische Ästhetik und Dramaturgie spürbar beeinflussten. Céline (Camille Cottin) reist nach Armenien, um offizielle Dokumente über den Tod ihres Ehemannes Arto zu erlangen. Aus der bürokratischen Formalität entwickelt sich eine schmerzhafte Spurensuche in ein von Krieg, Trauma und Verdrängung geprägten Land. So wie Céline eine unbedarfte Außenperspektive darstellt, repräsentiert Arto die konflikthafte Vergangenheit Armeniens. Diese Geschichte lässt sich nicht einfach begraben.
Sowohl in Form bewaffneter Auseinandersetzungen als auch verstörender Erinnerungen sickert sie in eine Gegenwart, in der die alten Fronten fortbestehen. Arto war Soldat, hatte seine Identität gefälscht und gilt unter seinen ehemaligen Kameraden nicht als Held, sondern Verräter. Dass er zudem bereits eine Frau hatte, ist nur einer der partnerschaftlichen Aspekte, die vor der historischen Aufarbeitung gänzlich verdrängt werden. Das emotionale Beziehungsdrama um ein Doppelleben wirkt wie eine unerwünschte Randnotiz, die immer wieder mal den Haupttext überschreibt.
Mit dieser strukturellen Unausgewogenheit kämpft die ambivalente Auseinandersetzung mit persönlicher Trauer und kollektivem Trauma ebenso wie mit ihrer dramatischen Didaktik. Figuren treten auf, um dialogische Exposition oder Lokalkolorit zu liefern, und verschwinden wieder. Fremde streuen spontan biografische Anekdoten ein oder erzählen vermeintlich vertrauliche Dinge. Zerstörte Gebäude und verstörte Jugendliche dienen als visuelle Marker eines erlittenen Terrors, der hohles Konstrukt bleibt. Die dramaturgischen Konventionen überbrücken die psychologische Distanz zu der komplexen Identitätskrise nicht, sondern vergrößern sie.
Formal zurückhaltend und visuell sensibel fragt Tamara Stepanyan nach der Möglichkeit eines Abschlusses mit erlebter und zugeführter Gewalt. Ihr allegorisches Drama verknüpft Identität und persönliche Beziehung, unmittelbar verwurzelt in ihrer dokumentarischen Arbeit. Camille Cottins nuanciertes Spiel und Claire Mathons zarte Bilder einer versehrten armenischen Landschaft, bevölkert von Veteranen und Gespenstern, tragen ein brüchiges Drama über Exil, Erinnerung und Lebensrealität einer umkämpften Region. Die Wahrheit bleibt diffus, die Aufarbeitung lückenhaft in einem zu sehr auf die Sensibilität des Publikums fixierten Werk.
- OT: Le Pays d’Arto
- Director: Tamara Stepanyan
- Year: 2025