“Fabrikarbeiterinnen haben ein anderes Leben”, berichtet eine der jungen Frauen, deren beruflichen Alltag Parsifal Reparato in seinem niederschmetternden Dokumentarfilm skizziert. Nach ein paar Tagen in der Fabrik verliert man jedes Zeitgefühl. Man weiß nicht mehr, ob es Tag oder Nacht ist, weil ständig Kunstlicht brennt. Wie spät es ist, ob die Pausen eingehalten werden oder wie lange die Schicht noch dauert, wissen nur die Vorarbeiterinnen. Smartphones sind streng verboten; damit kein Saub-Partikel die Technik beschädigt und von den schmutzigen Beschäftigungspraktiken nichts nach außen dringt.
Dank der anonymisierten Arbeiterinnen, die trotz der Risiken vor der Kamera sprachen, öffnete sich dem italienischen Regisseur und Journalisten dennoch ein beklemmender Einblick in die vietnamesischen Massenproduktionsstätten, in denen für führende Technik-Konzerne Produkte gefertigt werden. Es sind fast ausschließlich Frauen, die in Hanois Vorstadt unter menschenverachtenden Bedingungen Tag für Tag schuften. Diese Gender-Diskrepanz bemerkte Reparato bereits während einer Recherche-Reise in 2011. Der zermürbende Arbeitsrhythmus, aber auch die Hoffnungen und Ziele der Arbeiterinnen zeigt seine 2017 erschienene knapp einstündige Doku Nimble Fingers.
She ist Ergänzung und Erweiterung der Kurz-Doku, deren Grundkonzept weitgehend beibehalten wird. Statt Animationen illustrieren nun nachgestellte Szenen die Zustände innerhalb der Fabriken. Dort müssen Selbst Schwangere ununterbrochen im Akkord stehen und arbeiten. Die Vorgesetzten beobachten unerbittlich genau, ob eine Angestellte gegen das Redeverbot verstößt, bei der technischen Feinarbeit einen Fehler macht oder sich unerlaubt einen Moment während der zermürbenden 12-Stunden-Schichten ausruht. Dass das Nachstellen der Szenen durch die Arbeiterinnen selbst für diese ähnlich anstrengenden war wie eine Schicht, ist einer der ethischen Brüche des aktivistischen Konzepts.
Vor der Kamera dienen die bei der Arbeit vorgeschriebenen Schutzanzüge der Anonymisierung der Mitwirkenden. Ihre Individualität wird nicht nur durch kapitalistische Strukturen ausgelöscht, sondern auch innerhalb der Inszenierung. Jene knüpft bereits im Titel an diese Muster an, indem sie die Persönlichkeiten und Schicksale am Ende der globalen Lieferkette zu einem namenlosen Abstraktum reduziert. Mechanismen und Hintergründe gender-spezifischer Ausbeutung werden ausgeblendet. Die pluralisierte Perspektive, die den unsentimentalen Bildern ihre systemkritische Substanz verleiht, wird zur gesichtslosen Arbeitskraft. Das Produkt ist ein anderes, das Schema das Gleiche.
Die Strukturen systematischer Ausbeutung einer anonymen weiblichen Produktionskraft, die Parsifal Reparatos dringlicher Dokumentarfilm aufzeigt, räsonieren unangenehm in der Inszenierung. Deren gesellschaftskritisches Gehalt entsteht durch den mutigen Einsatz der Betroffenen. Von der risikoreichen und enorm anstrengenden Filmarbeit profitieren indes andere. Die Berichte über körperliche Erschöpfung, emotionale Isolation, familiäre Entbehrungen und die Gefangenschaft in einem System, das dauerhafte Abhängigkeit schafft, sind ebenso zeitaktuell wie relevant. Doch klassenübergreifende Solidarität bleibt eine vage Geste und die überwiegend weiblich geprägte Ausbeutung hinter der globalisierten Konsumwelt weitgehend unsichtbar.
- OT: She
- Director: Parsifal Reparato
- Year: 2025