Glühende Sonne scheint unerbittlich auf eine emotional erkaltete Gesellschaft in Jacqueline Zünds erster Spielfilm-Arbeit nach einer Reihe markanter dokumentarischer Werke. Deren Einfluss ist unübersehbar in den beobachten enden Kameraeinstellungen und einer reduzierten Handlung, die Hintergründe im Vagen lässt und die seelischen Zustände ihrer Figuren oft nur andeutet. Dieser Verzicht auf plakative Exposition und direkte Erklärungen verleiht ihrem dystopischen Drama ein Air metaphorischer Mystik. Doch die Unbestimmtheit erodiert auch das psychologische Fundament einer Handlung, die sich mehr mit Zuständen befasst als Entwicklungen.
Ein solcher Zustand ist die seelische Vereinsamung in einer nahen Zukunft, in der eine unbarmherzig sengende Sonnen den Tagesrhythmus der Menschen auf die Nachtstunden verschoben hat. Doch der minimalistische Plot macht wenig aus diesem interessanten Szenario, das unweigerlich Assoziationen an Zünds Doku Goodnight Nobody über von chronischer Schlaflosigkeit betroffene Menschen weckt. Das fahle, gleißende Licht, das Tagesszenen in blendende Abstufungen von Gelb und Weiß taucht, wird zum ästhetischen Gimmick, während die Hitze als simplizistische Metapher dient. Das Sonnenlicht ist verlockend, aber kann auch verbrennen.
Das Gleiche gilt für die Gefühle, gegen die sich der junge Hauptcharakter schließlich nicht mehr abschirmend kann. Jonah (Levan Gelbakhiani) bietet seiner Kundschaft ein simuliertes Gefühl von Nähe und zwischenmenschlicher Verbundenheit. Spezialisiert auf familiäre Konstellationen verkörpert er für ein älteres Paar deren verstorbenen Sohn beim gemeinsamen Abendessen oder besänftigt mit seiner stillen Präsenz die Sehnsucht einer Kundin nach ihrem abwesenden Freund. Für die 9-jährige Nika (Maria Pia Pepe) soll er eine Vaterfigur darstellen. Warum das Mädchen unbedingt eine solche braucht, bleibt unklar.
Ebenso rätselhaft sind die konkreten Konditionen Jonahs Tätigkeit, die im Grunde Escort ist. Dass die Regisseurin und ihr Co-Drehbuchautor Arne Kohlweyer diesen Aspekt komplett ausblenden, ist Teil eines unangenehm moralistischen Untertons. Jener zeigt sich in der durchgehend negative Darstellung Jonahs Dienstleistung. Diese fungiert als Symptom seelischer Stagnation und unterdrückten Traumas. Beide durchbricht Nika mit ihrer kindlichen Direktheit, was Jonah psychisch kollabieren lässt. Wie und warum, bleibt rätselhaft. Unmissverständlich ist nur die Botschaft, die normativen Zwang verklärt und Aromantik und Introvertiertheit pathologisiert.
Inszeniert mit präziser Reduktion, birgt Jacqueline Zünds futuristische Fabel einen gewissen formalistischen Reiz. Ruhige, observative Einstellungen, ein Minimum a Dialog, strenge Szenenbilder und zurückgenommenes Schauspiel schaffen einen inszenatorischen Balanceakt zwischen Suggestion und Apathie. Dabei wird postmoderne Vereinsamung nicht ergründet, sondern abgewertet, ebenso wie die als Neuheit dargestellte professionelle Gefühlsperformance. Die gemeinsamen Szenen Pepe’s und Gelbakhianis bestechen durch den darstellerischen Kontrast, doch beider genuine Dynamik kann den Mangel dramatischer Substanz nicht kompensieren. Unter der stilisierten Arthouse-Oberflächhe gähnt die innere Leere, die Zünds Werk kritisiert.
- OT: Don’t Let the Sun
- Director:
- Year: 2025