Subtile Symbolik und stiller Schmerz tragen François Ozons melancholische Meditation über Vergebung, Schuld und die erdrückende Last der Vergangenheit. Deren stückweise Enthüllung ist eine der strukturellen Stärken des hintergründigen Psychogramms einer Familiengemeinschaft in versteckter Krise. Jener seelische Tumult steht in markantem Kontrast zu der malerischen Landschaft des provinziellen Burgund, wo die alleinstehende Seniorin Michelle Giraud (Hélène Vincent) ein beschauliches Leben führt. Die Waldspaziergänge mit ihrer langjährigen Freundin Marie-Claude (Josiane Balasko) sind eine der scheinbar dekorativen Vignetten, aus denen unvermittelt Schlüsselmomente erwachsen.
Ein solcher ist die Pilzvergiftung Michelles distanzierter Tochter Valérie (Ludivine Sagnier), die mit ihrem kleinen Sohn Lucas zu Besuch ist. Da Michelle die Pilze selbst gesammelt und das Essen gekocht hat, glaubt Valérie nicht an einen Unfall und bricht den Besuch abrupt ab. Als Marie-Claudes kürzlich aus dem Gefängnis entlassener Sohn Vincent (Pierre Lottin) zu vermitteln versucht, hat dies fatale Folgen. Was nach einem Krimi klingt, entfaltet sich als zurückhaltendes Drama um Schuld – juristische, moralisch und zu Unrecht zugewiesen – und Verurteilung auf sozialer, legislativer und familiärer Ebene.
Markanterweise sind es die sozialen und privaten Stigmata, unter denen die Figuren am meisten leiden. Vincents Haftstrafe ist abgesessen, doch Marie-Claude und besonders Michelle trifft noch Jahrzehnte später die öffentliche Verachtung dafür, dass sie früher Sexarbeiterinnen waren. Während Vincent Michelle demonstrativ verteidigt, verachtet Valérie ihre Mutter für deren ehemaligen Beruf. Ozon selbst bleibt vage in seiner Haltung zu Sexarbeit, die nie respektvoll anzuerkennen er sich augenscheinlich doch nicht traut. Zwar erscheint Michelle, der Hélène Vincent ruhige Würde und emotionale Kraft verleiht, als Sympathieträgerin, aber dennoch sittlich schuldig.
Diese dramaturgische Ambivalenz zwischen konservativem Moralismus und zeitgemäßem Humanismus nagt an der elegischen Stimmung der poetischen Bilder. Kameramann Jérôme Alméras fängt die spätherbstliche Landschaft Burgunds in gedämpften Tönen ein – Ocker, Braun, Weinrot – und verleiht dem Film eine expressive Eleganz, die stellenweise fast ins Märchenhafte driftet. Die Szenenbilder sind ruhig und voll versteckter Details; Verweise auf die dezenten Sinnbilder einer Story, deren allegorische Anklänge sich erst spät manifestieren. So wie die Pilze ist elterliche und kindliche Zuneigung mal nährend, mal toxisch und manchmal unwissentlich beides zusammen.
Nach seinen flamboyanten Werken findet François Ozon mit seiner einfühlsamen Studie ungesehener weiblicher Stärke zurück zu alter Form. Emotionale Intimität und eine gemäldehafte Ästhetik verweben sich zum stimmungsvollen Charakterporträt mit vagen sozialkritischen Zwischentönen. Das letzte zu schwammig bleiben, verweist auf die eigenen Unsicherheiten der eleganten Inszenierung, die bewusst narrative Fragen offen lässt. Ein Hauch kriminalistische Suspense und ethische Zweideutigkeit überschatten das Geflecht aus Gewissens- und Generationenkonflikten. Dessen nuancierte Charaktere verankert das überzeugende Schauspiel abseits der konventionellen Moralschemata, die hier hinterfragt werden.
- OT: Quand vient l’automne
- Director: François Ozon
- Year: 2025