Vor lauter Selbstbegeisterung präsentiert David Mackenzies Low-Tech-Thrillers fast ununterbrochen sein titelgebendes Gimmick – und übersieht dennoch dessen essenzielles Potenzial auf jeder Ebene. Nicht nur beim Aufbau der hyperkonstruierten Handlung, die den für Menschen mit Hör- oder Sprachherausforderungen geschaffenen Relay-Service als Methode verfolgungssicherer Kommunikation einsetzt, sondern vor allem der des Castings. Zugegeben, Riz Ahmed ist gewohnt großartig als Deal-Broker, der für eingeschüchterte Whistleblower die sichere Rückgabe entwendeter Dokumente verhandelt. Doch sein Part ist wie geschaffen für eine Person mit entsprechendem Handicap, die den Transkriptions-Dienst nicht nur taktisch nutzt.
Diese ableistische Ignoranz ist umso enttäuschender, da das Thema Diskriminierung in anderem Bezug dezidiert aufkommt. Soziale Stigmatisierung aufgrund seines muslimischen Glaubens trieb Ahmeds desillusionierten Protagonisten Ash in den Alkoholismus. Den ersetzt jetzt der Adrenalin-Rausch der riskanten Verhandlungen mit den Handlangern mächtiger Konzerne. Für einen solchen arbeitete die junge Biotech-Forscherin Sarah (Lily James), die einer gefährlichen Vertuschung auf die Spur kam. Aus Angst um ihr Leben will sie die entwendeten Beweise mit zurückgeben. Ashs Unterstützung dabei führt zu einer unerwarteten emotionalen Nähe, die neue Gefahren birgt.
Spannende Motive wie die moralische Verantwortung Mitwissender, deren mangelnde legale Unterstützung sowie Suchtverhalten bleiben dekorativer Ballast. Der Plot orientiert sich mehr an Genre-Konventionen wie dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem fünfköpfigen Team Sarahs ehemaliger Arbeitgeber und Ash. Seine diversen Verkleidungen, Aliase und Zielsetzung machen ihn zu einem modernen Nachfolger von The Saint. Der Einfluss des Serien-Klassikers um einen mysteriösen Helden, der denen beisteht, denen gängige Rechtsmethoden nicht helfen, diente Drehbuchautor Justin Piasecki offenkundig als Inspiration. So sehr, dass sich Relay mitunter wie ein Pilot-Film anfühlt.
Dass Ashs perfekte Assimilation zum Schutz gegen Diskriminierung erlernt hat, ist eine interessante Facette, die nie ergründet wird. Stattdessen kreist die Handlung um die altmodischen und alternativen Übermittlungsmethoden, die in einer Ära allgegenwärtiger Überwachung den letzten Rest Anonymität bieten. Transkription, Postschließfächer, Nachsendeaufträge und Prepaid-Handys sind die letzten Lücken in einem normalisierten Überwachungsapparat. Jener wird zur Analogie Ashs eigener Arbeitsmethoden, die ihrerseits einige letzte Angriffspunkte bieten. Dass diese getroffen werden ist zwar vorhersehbar, aber konsequent – im Gegensatz zum unausgegorenen Fazit, das die Grundprämisse unterläuft.
Die tragenden Themen Grauzonen und Ambivalenz geben David Mackenzies souveränem Verhandlungskrimi einen Touch dramaturgischer und psychologischer Tiefe. Zwar verleihen die Konflikte um Anonymität, moralische Verantwortung und Komplizenschaft dem kriminalistischen Versteckspiel ethisches Gewicht, bleiben aber enttäuschend oberflächlich. Jed Kurzels aufdringlicher Soundtrack untergräbt die unterkühlte Suspense der ruiniert gefilmten Story, deren Struktur im letzten Drittel mächtig holpert. Ahmeds introvertierte Darstellung trägt dennoch die charakterfokussierte Inszenierung, deren entscheidende Schwäche die trotz der thematischen Relevanz des Relay-Dienstes fehlende Inklusion. So bleibt auch die Kritik an gesellschaftlicher Marginalisierung letztlich eine Plot-Device.
- OT: Relay
- Director: David Mackenzie
- Year: 2024