Die Einflüsse von Fargo sind unübersehbar in Brian Kirks wortwörtlich eisigem Thriller, dessen kondensiertes Szenarios und kompakter Cast die Konventionen des Crime-Genres auf reduziertem Raum unterlaufen. Vor der ebenso malerischen wie mörderischen Kulisse des schneebedeckten Minnesotas verkörpert Emma Thompson die verwitwete Protagonistin, die ein bizarrer Zufall auf ein Ehepaar Amateur-Kidnappern treffen lässt. Das schwarzhumorige Szenario, das sich aus dem unermüdlichen Kampf der wackeren älteren Dame gegen eine ebenso entschlossene Widersacherin entwickelt, dreht sich nicht nur auf kriminalistischer Ebene um Leben und Tod.
Der Verlust ihres geliebten Ehemannes Karl (Cúán Hosty-Blaney) führt die Protagonistin an den zugefrorene See, an dem die beiden vor Jahrzehnten ihr erstes Date hatten. Nahe der kleinen Fischerhütte, vor der sie einst von ihrem Zukünftigen das Eisfischen erlernte, wird sie Zeugin des vergeblichen Fluchtversuchs eines jungen Mädchens (Laurel Marsden). Ihre von einer manischen Judy Greer gespielte Entführerin will die Gefangene als Organspenderin, um ihrerseits dem Tod zu entgehen. Während ihr Gatte (Marc Menchaca) mehr willensschwacher Mitläufer ist, wird die namenlose Kidnapperin zur skrupellosen Spiegelfigur der Heldin.
Deren Trauer untermauern romantische Rückblenden, in denen Thompsons Tochter Gaia Wise die junger Version ihrer Figur spielt. Das Terrain, das in der Erinnerung episch schön, in der Gegenwart unerbittlich harsch erscheint, wird somit zu einem weiteren der durch die Handlung gestreuten Gegensatz-Paare. Auch die psychisch instabile Gefangene, die ihrem eigenen Leben in der Vergangenheit ein Ende setzen wollte, wird zur geisterhaften Verkörperung eines Kindes, das Karl und die Protagonistin nie hatten. Makabere Intermezzi und skurrile Zwischenfälle konterkarieren das blutige Duell mit sardonischen Pointen.
Visuell schöpft der Film sein grandioses Setting voll aus. Gedreht in der finnischen Region Koli und in Nordrhein-Westfalen wird die karge Landschaft zu einer eigenen Figur, die zum unerwarteten Vorteil oder zur unerbittlichen Gefahr werden kann. Scheinbar banale Details wie Handschuhe werden zum überlebensnotwendigen Instrument. Christopher Ross’ Kameraarbeit fängt glitzerndes Eis, dichte Kiefern und die endlose Eisdecke des Sees in prachtvollen Panoramen ein. Volker Bertelmanns minimalistischer Score verstärkt die frostige Spannung und unterstreicht den emotionalen Kern der ebenso amüsanten wie anrührenden Story.
Getragen von einer gewohnt exzellenten Darstellung Emma Thompsons, entwirft Brian Kirk ein geschliffenes Genre-Kleinod, das dank Charaktertiefe, dramaturgischem Fundament und handwerklicher Präzision über die gängigen Klischees hinauswächst. Der spürbare Einfluss der Coen-Brüder mindert nicht die unterhaltsame Originalität der pechschwarzen Crime-Comedy. Stoische Entschlossenheit prägt die gealterte Heldin, die genau wie ihre Antagonistin nichts zu verlieren hat. Vor der imposanten Naturkulisse entfaltete sich eine Geschichte über Trauer, versteckte Stärke und zwischenmenschliche Anteilnahme unter den widrigsten Bedingungen: eine brüchige Balance zwischen Kummer, Komik und archaischem Konflikt.
- OT: The Dead of Winter
- Director: Brian Kirk
- Year: 2025