Die titelgebenden Kinderzähne bewahrt die Mutter des spurlos verschwundenen kleinen Mädchens, dem sie gehörten, in einer Schachtel auf. Die Box wird zum symbolischen Sarg, angefüllt mit den morbiden Memorabilia eines unzähliger Verschwinden während der Ceaușescu-Diktatur. Deren grausames Erbe zieht sich gleich einer düsteren Unterströmung durch Mihai Mincans gespenstisches Geschichtsstück. Dessen junge Protagonistin blickt durch die wachsamen Kinderaugen der heranwachsenden Generation auf die letzten Auswüchse des diktatorischen Terrors, dessen Trauma nach der Revolution greifbar bleibt – wie die Schwester (Marina Palii) der zehnjährigen Maria (Emma Ioana Mogoș).
Im April 1989 wird Maria zur letzten Zeugin, die Alina mit einem Radio in der Hand durch die Straßen ihres abgeschiedenen Wohnorts in der rumänischen Provinz laufen sieht. Die Erwachsenen scheinen seltsam apathisch gegenüber dem Ereignis, das in Maria tiefe Verstörung weckt. Mit stiller Entschlossenheit begibt sie sich auf die Suche nach Wahrheit in einer Welt des schweigenden Schreckens, in der Wegsehen, passive Komplizenschaft und Anpassung Überlebensstrategien sind. Kindliche Phantasie vermischt sich mit aufkeimender Erkenntnis und verschwommenen Erinnerungen zu einer Aura diffuser Bedrohung und erahnten Grauens.
Letztes ist nicht allein der menschliche Verlust, sondern die nagende Ungewissheit, das Fehlen persönlicher und gemeinschaftlicher Aufarbeitung sowie eines bewussten Abschieds. Alina wird zur bilateralen Allegorie der zahllosen Opfer der Diktatur, die ermordet wurden oder spurlos verschleppt, aber auch des Regimes selbst, dessen abrupter Niedergang ein ideologisches Vakuum, ungesühnte Verbrechen und unaufgelöste Ängste hinterlässt. Das ganz auf Marias Wahrnehmung konzentrierte Geschehen entfaltet sich weniger als ein Kriminalfall denn als psychologisches Diagramm, in dem Furcht, Kummer und Wissensdrang fließend ineinander übergehen.
Kameramann George Chiper-Lillemark zeichnet die sozialistische Tristesse in dumpfen Braun- und Grautönen, deren körniger Realismus mit expressionistischen Schauer-Szenen kontrastiert. Das Rotlicht einer Dunkelkammer voller Fotos evoziert eine totalitäre Gewalt, die nie direkt sichtbar wird, aber überall Spuren hinterlässt. Enge Räume, zudringliche Nahaufnahmen und mattes Licht erzeugen eine Stimmung permanenter Beklemmung und unterdrückter Verunsicherung. Eine von Schweigen dominierte Tonspur, in der Geräuschfetzen und alte Kassetten-Lieder geisterhaft widerhallen, verstärkt die Aura verborgenen Unheils. Die Leerstelle wird zur alles ausfüllenden Metapher für einen sozialpolitischen Abgrund, der anklagend entgegenblickt.
Historische Chronik, geisterhafte Allegorie und psychologisches Kammerspiel verzahnen sich zu einer leise verstörenden Inversion des klassischen Revolutionsepos. Deren geschichtliche Größe verwehrt Mihai Mincan bewusst zugunsten eines unscheinbaren individuellen Fokus, dessen intimer Rahmen den monumentalen politischen Umbruch nur erahnen lässt. Newcomerin Emma Ioana Mogoș eindrucksvolle Darstellung und markante Bildsprache rühren an ein kollektives Trauma, dessen Gespenster weiter umgehen. Im Wettbewerb der Orizzonti-Sektion der Biennale von Venedig 2025 uraufgeführt, setzt das spukhafte Coming-of-Age-Drama auf dichte Atmosphäre und eine narrative Verschleierung, die ebenso viel Geduld wie Konzentration erfordert.
- OT: Dinți de lapte
- Director: Mihai Mincan
- Year: 2025