Zwischen Mythos und Erinnerung interpretieren Jane Pollard und Iain Forsyth Marianne Faithfulls schillerndes Œvre als ein retro-futuristische Reverberation. In minimalistisch reduzierten Mid-Century Studio-Kulissen, die ästhetische Elemente von Schwarzer Serie und Sci-Fi kombinieren, schafft das Regie-Duo ein avantgardistisches Amalgam von dokumentarischem Raum und filmischer Fiktion. Die ikonische Sängerin und Schauspielerin, die am 30. Januar dieses Jahres an Krebs verstarb, erscheint darin zugleich persönlich und als multidimensionaler Mythos. Dessen kreativen und charakterlichen Facettenreichtum vermittelt ein charismatischer Cast ähnlich vielseitiger Künstlerinnen.
In ungescripteten Gesprächen im fiktiven Rahmen eines futuristischen Archivs musikalischer Erinnerungen agiert Faithful in ihrem finalen Filmauftritt zugleich als Zeugin, Protagonistin und Referentin ihrer kreativen Karriere. Tilda Swinton spielt den „Overseer“, George MacKay den „Record Keeper“ in diesem Retro-Studio Setting, das auf die unscharfen Übergänge von Wahrhaftigkeit und Inszenierung in der Pop-Industrie verweist. Das unermüdliche Aufbegehren um Authentizität und Selbstbestimmung in einer Branche, die insbesondere Sängerinnen in ein restriktives Image zwingen wollte, war eine Konstante in Faithfuls Laufbahn.
Jene beginnt mit der damals als effektive Publicity verbreiteten Anekdote, dass sie in einer Disco entdeckt und aus der vermeintlich „talentlosen“ Ingenue in einen Pop-Star verwandelt wurde. Zwischen performativer und poetischer Dokumentation ist die nüchterne Chronologie lediglich die Grundlage einer subjektiven Meta-Ebene. Auf der erwecken persönliche Erinnerungen, stilisierte Narration und dramaturgische Interpretation ein buchstäbliches Lebens-Werk, das als schillerndes Kaleidoskop eines enorm wandelbaren Talents fungiert. Archivaufnahmen und Interviews zeigen ihr jüngeres Ich, das so freimütig und differenziert antwortete wie die ältere Künstlerin.
Ihre Karriere verlief in enger Verschlingung mit und mitunter im Schatten anderer Musik-Legenden, allen voran Mick Jagger, aber Bob Dylan, Joan Baez und Stevie Nicks – nicht zu vergessen ihre enge Bindung zur Beat Generation. Der von Rob Ellis und Adrian Utley komponierte Soundtrack ist indes nur eine überflüssige Ablenkung von Faithfuls eigener Musik und den Stimmen rebellischer Interpretinnen wie Courtney Love. Zweite singt bei einer Cameo einen von Faithfuls Songs, die auf Momentaufnahmen, Outtakes und rare B-Sides lange nach dem Abspann nachhallen.
Musikalisches Denkmal und persönliche Memoire arrangieren Jane Pollard und Iain Forsyth zu einem mitreißenden Leinwand-Tribute an eine der vielseitigsten Sängerinnen der letzten Jahrzehnte. Bereits der Titel der experimentellen Hybrid-Doku, die auf den Filmfestspielen von Venedig außer Konkurrenz Premiere feiert, verweist auf die sexistische Verzerrung ihrer Biographie. Im Geiste Marianne Faithfuls gleichnamigen Albums, das 1979 eine kreative Neuorientierung markierte, kaschiert das elektrisierende Biopic nicht die biografischen Brüche, sondern macht sie zur kreativen Essenz eines musikalisch und menschlich beeindruckenden Porträts.
- OT: Broke English
- Director: Jane Pollard, Iain Forsyth
- Year: 2025