Sieben Jahre hat es gedauert, aber die haben sich gelohnt. Gus van Sant ist zurück mit einem schwarzhumorigen Mix aus Kapitalismus-Kritik und Crime-Comedy, die an Kelly Reichardts The Mastermind ebenso erinnert wie Sidney Lumets Dog Day Afternoon und dennoch nie die individuelle Filmsprache des im Independent-Kino verwurzelten Regisseurs verliert. Seine charakteristische Balance zwischen Sozialrealismus und Sozialabsurdität erhält emotionales Gewicht durch eine aufrichtige Empathie für die auf realen Vorbildern basierten Figuren. Die verbindet die titelgebende Todesfalle zu einem amüsanten Tanz auf dem Genre-Parkett.
Auf inszenatorischer Ebene ist dieses bemerkenswert leichtgängige Duett zugleich eines von True Crime Dramatik und Retro-Thriller-Parodie. Im Indianapolis des Jahres 1977 packt der ruinierte Landbesitzer Tony Kiritsis (Bill Skarsgård) bei einem Meeting mit dem Sohn des Geschäftsinhabers des Meridian Kreditinstituts ein Gewehr aus. Überzeugt davon, dass der skrupellose Konzern ihn bei seinem Immobiliengeschäft betrogen hat, nimmt er Richard Hall (Dacre Montgomery) kurzerhand als Geisel. Eine raffinierte Schlinge vom Abzug um Tonys Hals sorgt dafür, dass die anrückende Polizei ihn nicht erschießen kann,
Jede heftige Bewegung würde einen Schuss auslösen, weshalb das Einsatzkommando, schaulustige Passanten und eine junge TV-Reporterin (Myha’la), die ihre Chance auf eine Top-Reportage sieht, die Situation zu beruhigen suchen. Eine Schlüsselfunktion dabei hat Radio-DJ Fred Temple (Coleman Domingo), den Tony als langjähriger Fan zu seinem Sprachrohr macht. Mit seiner Sympathie für chancenlose Außenseiter im Kampf gegen das System entspinnt van Sant eine – wie der mit amüsantem Archivmaterial gefüllte Nachspann enthüllt, erstaunlich wahrheitsgetreue – Story von gerechtem Zorn, Existenzängsten sehr verschiedener Art und dem Bedürfnis nach öffentlicher Aufmerksamkeit.
Die knapp drei Tage währende Geiselnahme strafft das knackige Skript auf einen Tag und eine Nacht, in denen Tonys Verzweiflung und Wut immer mehr soziales Verständnis finden. Skarsgård glänzt mit einer nervösen Entschlossenheit, während Montgomery sich unfreiwillig in Tonys ungeliebter Randposition erkennt. Domingos famose Melange aus Pragmatismus und Retro-Glamour und Al Pacino in einer anspielungsreichen Cameo sind humoristische Highlights in den grandiosen Kulissen. Dem in depressive Braun- und Orangetöne getauchte Retro-Look schenken Arnaud Potiers körnige Kameraaufnahmen den Touch der Paranoia-Thriller der 70er, inmitten herben Realismus.
Hintersinniger Humor und systemkritische Pointen überlagern nie den ernsthaften Grundton Gus van Sants cleveren Crime-Capers. Historische und cineastischen Referenzen dienen als bissigen Kommentare zur skurrilen Wechselwirkung von medialer und realer Spektakel. Danny Elfmans Score changiert gekonnt von Ironie zur Bedrohlichkeit der aberwitzigen Story, die tatsächlich live übertragen wurde. Songs von Roberta Flack über Yes bis zu Gil Scott-Heron mischen Zeitkolorit mit subversiven Untertönen. Sinkt die Dynamik gen Ende, erweitert sich der dramaturgische Blick auf normalisierte Korruption, Medienmacht und Volkshelden-Figuren sowie die Verlogenheit des American Dream.
- OT: Dead Man’s Wire
- Director: Gus Van Sant
- Year: 2025