„Gedichte müssen sich nicht immer reimen“, erzählt Sam Shakusky (Jared Gilman) irgendwann in den tiefsten 60ern irgendwo in der tiefsten Provinz Neuenglands Suzy Bishop (Kara Hayward). „Sie müssen nur kreativ sein.“ Diese Erkenntnis leitet Wes Anderson und das wagemutige Heldenpaar auf der Schwelle vom Kinder- zum Jugendalter, dessen gemeinsamer Flucht die skurrile Coming-of-Age-Story beisteht.
Der Waisenjunge und die Großfamilientochter treffen einander auf einem namenlosen Weg, der das Camp von Oberpfadfinders Ward (Edward Norton) mit dem Provinzanwesen der Bishops verbindet. Die hintersinnige Perspektive des Regisseurs von The Fantastic Mr. Fox und Darjeeling Limited enthüllt die Institutionen, die für gewöhnlich als moralische Eckpfeiler der Gesellschaft gelten, als intellektuell und seelisch gleichsam beschränkt. In einer der präzise konzipierten Szenen zeigt Suzy Sam ein Buch mit dem Titel „Das tief verstörte Kind“, das sie bei ihren Eltern gefunden hat. Das stilisierte Gesicht auf dem Umschlag wirkt wie ein trübseliges Piktogramm ihrer eigenen angespannten Züge neben dem Einbandbild. Dem Katalogisieren des praktischen Ballasts folgt die des psychischen.
Diese ebenso nüchterne Inventur erinnert daran, dass Andersons romantisches Kuriosum psychologisch in den Komplementärfarbe der quietschvergnügten Farbpalette gehalten ist. Die Figuren eint stumme Trauer, nicht um Verstorbene wie Sams Eltern, sondern sich selbst und vertane Chancen. Manchmal täten Menschen Dinge, ohne den Grund dafür zu kenne, schreibt Sam im bruchstückhaft enthüllten Briefwechsel mit Suzy. Selbstmitleid und Selbstgenügsamkeit sperren Eltern und Behörden in ein Verhaltensmuster phlegmatischen Regelgehorsams, in das sie auch die Ausreißer manövrieren wollen. Deren Gedankenaustausch, der die Stelle der schriftlichen Intimität einnimmt, ist der Kontrastpunkt der Vorklausulierungen der Erwachsenen. Sie beschränken sich auf Befehlston und Floskeln, Zeichen ihrer emotionalen Kommunikationsunfähigkeit.
Am plastischsten zeigt sie sich an Suzys Mutter Mrs. Bishop (Frances McDormand), die zu ihren Kindern und dem resignierten Gatten (Bill Murray) nicht durchdringt; selbst via Megaphon. Wie in jedem Anderson-Film ist der Schauplatz ein Märchenort, fernab der Realität, die der Plot beständig karikiert. In kleinen Dosen ist das süß; mehr wäre zu süßlich.
- OT: Moonrise Kingdom
- Regie: Wes Anderson
- Drehbuch: Wes Anderson, Roman Coppola
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2012
- Laufzeit: 97 min.
- Cast: Bruce Willis, Edward Norton, Tilda Swinton, Bill Murray, Frances McDormand, Jason Schwartzman, Harvey Keitel, Bob Balaban, Kara Hayward, Jared Gilman, Neal Huff, Tommy Nelson, Charlie Kilgore, Jake Ryan, Chandler Frantz
- Kinostart: 24.05.2012
- Beitragsbild © Tobis