Mit seinem Debütwerk „The Celluloid Closet“ schuf Vito Russo ein Standardwerk der Filmanalyse, dass die von negativen Stereotypen geprägte Darstellung von LGBT-Charakteren auf der Leinwand auf aufzeigte und aufschlüsselte. Die Buchfassung seiner filmgeschichtlichen Vorträge stellte Russo 1984 im Berlinale Panorama vor. In der gleichen Festival Sektion läuft nun auch Jeffrey Schwarz Dokumentation über das bewegte Leben des Aktivisten und Filmkenners. Seine Lebenschronik ist befeuert von Bewunderung für den Titelprotagonisten, der 1990 an den Folgen von AIDS verstarb. Doch Schwarz‘ spürbarer Eifer reicht nicht aus, um seinen inszenatorischen Konventionalismus zu überwinden. Die formalistische Einleitung, die an der Bedeutung des zentralen Charakters die des Films festzumachen versucht, steht emblematisch für den Mangel an Inspiration.
Zum Glück ist Russos Biografie spannend genug, um trotzdem zu bewegen. Rares Archivmaterial, bisher ungezeigte Privatvideos sowie schwarz-weiße Amateurfilme werden handwerklich tadellos zu einer Collage arrangiert, die ebenso sehr an der Ära interessiert scheint wie an dem Mann, der sie auf filmhistorischer Ebene prägte. Die chronologische Erzählstruktur zeichnet Russos private und berufliche Entwicklung nach, ohne persönliche Motivationen tiefer zu ergründen. An Dynamik gewinnt die Dokumentation, wenn sie sich mit Rob Epsteins und Jeffrey Friedmans preisgekrönter Leinwandadpation The Celluloid Closet befasst. Dass homosexuelle Figuren im Film eine Bedrohung verkörperten, war etwas ganz gewöhnliches, erinnert sich ein Bekannter Russos: „War man schwul, war man eine Gefahr und unterminierte alles was Amerikanisch war.“
We get our rights when we take them. We get our movies when we make them. – Vito Russo
Vito Russo
Die Beschränktheit gängiger Filmkonzepte spiegelt die auf sprachlicher Ebene. Russo zählte zu jener Generation, die den Begriffen wie queer und gay eine subversive, positive Bedeutung verliehen. Er kämpfe für die Generation, die nach ihm folge, damit sie nicht aufwachsen müsse, wie er“, sagte Russo, dessen Einsatz für Differenziertheit und Authentizität in der Filmwelt ungebrochen inspiriert. Genauso für seine pointierte Demaskierung von Klischeebildern, von denen nicht wenige in Kino und Köpfen überdauern. Wandel ist ein schleppender Prozess. „Die Dinge, von denen man glaubt, sie dauerten zehn Jahre, dauern hundert Jahre.“ Russo hatte nur 44. Sein vorzeitiger Tod entspricht in trauriger Ironie einem der Plot-Klischees, die schwule Protagonisten trafen: „Am Ende mussten sie immer sterben.“
- OT: Vito
- Regie: Jeffrey Schwarz
- Drehbuch: Jeffrey Schwarz
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2011
- Laufzeit: 93 min.
- Cast: Vito Russo, Phyllis Antonellis, Richard Barrios, Lenny Bloom, Richard Berkowitz
- Beitragsbild © Berlinale