Sie hat Angst vor dem Älterwerden. Das Bekenntnis Carolin Genreiths ist wohl platziert. Direkt zu Beginn ihrer Heimatdoku lädt das unspektakuläre Geständnis zur Identifikation. Die fällt während der rund 72 verbleibenden Minuten ihres Kinodebüts schwer, denn die handlungstragende Frage ist noch überflüssiger als die, die dem Anfangssatz folgt: “Warum?” Falls es irgendwo Zuschauer gibt, denen Grauen vor physischem Verfall fremd ist, brauchen sie nur Die mit dem Bauch tanzen anzusehen.
Diese Empfehlung für das provinzielle Porträt ihre Hüften schwingender Damen, das in der Perspektive Deutsches Kino der Berlinale 2013 läuft, gilt natürlich mit Einschränkung. Wer seine Unbedarftheit und Schlichtheit konservieren will, wie es die Regisseurin offenkundig auf bewundernswerte Weise getan hat, besucht besser nicht die von der Kamera erkundete Nordeifel. Wagt man sich doch an den dörflichen Filmschauplatz vor, findet man womöglich nie zurück nach Berlin. Von dort kommt die junge Erzählerin des Bauchtanz-Berichts in ihren Herkunftsort, dessen aus ihrer Sicht prägende Charakteristika eine abschreckende Montage vorführt: haushohe Hecken, Schützenvereine, nasskaltes Regenwetter. All das war der Anlass für Genreiths acht Jahre zurückliegende Flucht in die Hauptstadt, “und das verlogene Grüßen“. Das ist nun wieder fällig, denn Berlin hat die Regisseurin vorerst den Rücken gekehrt: “Weil schon jetzt nichts so ist, wie ich mir es mit 16 vorgestellt habe.” Akute Quarter-Life-Crisis lautet die Selbstdiagnose der Filmemacherin.
Ihre Protagonistinnen hingegen genießen ihren zweiten Frühling oder “persönlichen Sommer“. So nennt eine der Bauchtänzerinnen die Hitzewallungen, mit denen sie und ihre Mittänzerinnen sich plagen. Heiß und kalt wird auch Genreith, allerdings nicht aufgrund von Hormonschwankungen, sondern vor Angst. Schlimmere Schauer als ihrer Muttergeneration die Wechseljahre, bereitet ihr die Furcht davor. Dabei ist die Dokumentarfilmerin gerade 28. “Schon 28“, klagt sie in dem Kinodebüt, das sie ihrer durch eine Bauchtanzgruppe zu neuer Lebenslust gelangten Mutter und deren Gleichgesinnten widmet. Der provinzielle Exkurs ist eine herzige Verschnörkelung kleinbürgerlicher Spießigkeit. Ihr gilt ein in Sportstudios und Freizeitvereinen längst gängiger Mix aus tänzerischer Bewegung und Orientmusik als verrucht. “Bauchtanz, was ist denn das?“, zweifelte erst Genreiths Mutter: “Ist doch so ein Anmachertanz.” Der “Anmachertanz” ist eigentlich Striptease, aber bis Poledance-Aerobic und Burlesque-Kurse in der Region ankommen, ist es wohl noch einige Berlinalen hin.
Ob die gleiche Regisseurin dann mit den gleichen Protagonistinnen eine Reportage über beim Strippen selbstbewusster werdende Seniorinnen vorstellt (Titelkalauer: Die bei der Stange bleiben)? “Wenn man in so einem Kram drinsteckt, meint man, da kommt man nie wieder raus“, bemerkt die Mutter über ihr früheres Dasein als Gattin und Hofbesitzerin: “Da steckt man dann ewig drin.” Die Erfahrung blüht nun anscheinend der Tochter, die sich von persönlicher und perspektivischer Beschränktheit Erfüllung erhofft: “Wir können und wir wollen immer alles und bekommen vielleicht deswegen letztendlich gar nichts.” Viel besser ist doch nie zu können und zu wollen und dann wenigstens etwas zu haben. Und sei es ein Schleiertuch mit Klimper-Münzen, ein Pailletten-BH in Übergröße und ein Tanz-Repertoire, das so verführerisch aussieht wie es sich anhört: “Kamel ist auch was Schwieriges, weil du musst die Acht so mit der Hüfte tanzen.“
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