„Sherry muss als ein exklusives Produkt wahrgenommen werden, aber das geht nur, wenn er mit einer Geschichte kommt“, heißt es in José Luis López-Linares’ kennerischer Dokumentation. Mit der gleichen Taktik versucht der Regisseur, der mit The Chicken, the Fish and the King Crab bereits im Kulinarischen Kino gastierte, bei der Vermarktung seines filmischen Destillats. Das begeistert sich mit den weinkundigen Protagonisten für Palo Cortado, den die Trauben unter harschen Bedingungen im spanischen Jerez hervorbringen.
Nur ein bis zwei Prozent der Trauben zur Sherry-Herstellung fließen in Palo Cortado. Die exklusiven Weine haben ihren Preis, nicht nur für die Liebhaber des obskuren Tropfens, sondern deren Erzeuger. Natürlicher Palo Cortado entsteht nur, wenn der Zufall es will. Wenn sich das Flor nicht völlig ausbildet, kommt es zu einem verfrühten Oxidationsprozess. Um diesen zu bremsen kann einem Jungwein bis zu einer festgesetzten Menge Branntwein zugefügt werden. Das Produkt ist ein Sherry, der farblich und geschmacklich zwischen zwei anderen berühmten Likörweinen liegt: dem Amontillado und dem Oloroso. Nervenzerfetzend spannend, oder? Und die detaillierten Schwärmereien von Lopez-Linares’ Gesprächspartnern sind noch aufregender. Dazu gibt es hochbrisante Bilder von Fässern, dem schimmernden Getränk, alte Gemäuer, noch mehr Fässer, noch mehr von dem Getränk …
Jede Aufnahme betrachtet den Sherry aus einem anderen Winkel, um nicht eine Nuance seines Farbspektrums zu übersehen. Die Bilder entwickeln einen Sog, der Aficionados womöglich tiefer in das behandelte Sujet zieht, alle anderen eher in das Reich des Schlafs. Den beflügeln eingestreute historische Filmschnipsel, Zitaten und Fotografien eher als dass sie ihn zurückhalten. Eine wirklich hübsche Szene gibt es, aber die ist bloß montiert aus einem anderen Film. „A draft from heaven“, lobt Vincent Price in Tales of Terror ein Glas Sherry. Auch Bette Davis trank auf der Leinwand gern ein Glas und jetzt statt der öden Weinhistorie voller alter grauhaariger Männer eine Bette-Davis-Film zu sehen wäre grandios. Ist aber nicht. Stattdessen sickert durch, dass di edle Plörre früher ein Massenprodukt war. Wie daraus ein Nischensektor wurde? Dust in the wine cellar.
Ein ehemaliger Erzeuger meint, die Vielschichtigkeit des Palo Cortado mache ihn „finanziell und vermarktungstechnisch zu einem Desaster“. Von der Fachsimpelei überforderte ZuschauerInnen sollen über den Film offenbar ähnlich denken. Was nicht ankommt, ist einfach zu hoch für den Pöbel. Na dann, zum Wohl all denen, die viel Kohle für teure Traubensäfte verbrennen können. Nach einem tiefen Blick ins Glas wäre immerhin die verbrämte Hommage an ein Genussmittel besser bekömmlich.
- OT: Jerez & el misterio del palo cortado
- Regie: José Luis López-Linares
- Drehbuch: José Luis López-Linares
- Produktionsland:
- Jahr: 2015
- Laufzeit: 78 min.
- Cast: Josep Roca i Fontané, Jan Petersen
- Beitragsbild © Berlinale