Der Titel birgt ein Element der Gefahr. Denn Tiere, sagt Alexander Arnby über sein atmosphärisch dichtes Spielfilmdebüt, litten meist an etwas, wenn sie träumten. So leidet auch die jungen Marie (Sonia Suhl), die mit ihrem verschlossenen Vater Thor (Lars Mikkelsen) und der gelähmten Mutter (Sonja Richter) in einem dänischen Fischerdorf lebt. Die soziale Enge erstickt das stille Mädchen, in dem die mysteriöse Krankheit ihrer Mutter auflebt – und mit ihr etwas anderes, animalisches.
Diese atavistische Kraft ist Maries Sexualität und Autarkie, die Regisseur Arnby und Drehbuchautor Rasmus Birch in eine düster-lyrische Werwolf-Parabel verweben. Die schrittweise Metamorphose, deren Anzeichen Haarwuchs, blutige Fingernägel und erhöhte Angriffs- und Liebeslust sind, verursacht weder ein Biss, noch ein Fluch, sondern Vererbung. Die Krankenunterlagen ihrer Mutter zeigen Marie eine Zeichnung ähnlich den historischen Darstellungen Wilder Frauen oder Menschen mit Hypertrichose. Der Horror der zurückgenommenen Erzählung ist vor diesem realen Hintergrund weniger das Monströse als die damit verknüpfte Angst, die Gewalt weckt: gegen die Außenseiterin und in Reaktion von ihr.
Der Schlaf des Instinkts gebiert Menschen. Doch die sind nicht besser als Tiere. Um das zu wissen genügt ein Blick in eine Schlachtfabrik. In solch einer beginnt Maries Berufsleben mit Aufschlitzen und Ausweiden. Es sind Fischen, die viele ohnehin nicht als fühlende Wesen betrachten. Doch die menschliche Missachtung gegenüber anderen Gesichtern der Natur wird spätestens deutlich, wenn die Neuanfängerin Marie die Abfälle in einem Container entsorgen muss. In der stinkenden Suppe schwimmen Fischköpfe und einen Moment später Marie, die der aggressive Fabrikarbeiter Esben (Gustav Dyekjaer Giese) hineingestoßen hat. Als sie hinaussteigt, umringen sie die applaudierenden Kollegen und überreichen ihr eine Schürze und ein Messer. Oberflächlich erscheint der gemeine Streich als relativ harmloses Aufnahmeritual; tatsächlich ist er eine verkappte Warnung. Marie wird vor die Wahl gestellt, zu denen zu gehören, die wilde Kreaturen buchstäblich ausnehmen und als Produkt oder Abfallprodukt sehen. Oder sie verweigert sich dem Konzept gewaltsam deformierter Natur und wird damit für die anderen zur Aussätzigen und zum Beuteobjekt.
Beide Wahrnehmungen vertritt Esben, der Marie an ihrem ersten Arbeitstag abschätzig-lüstern taxiert. Doch das Beuteschema passt nicht auf die eigenwillige Hauptfigur, in der das Blut einer Jägerin fließt. In einer frühen Szene genießen Marie und ihre Mutter am Kai den tosenden Wind. Das raue Klima ist Symbol für die ungezähmte Natur, die in ihnen schlummert: ruhiggestellt in Maries Mutter, in der Tochter im Begriff zu erwachen. Anders als in Genrefilmen von Gestaltwandlern üblich, sind Marie die zuerst vom Hausarzt Dr. Larsen (Stig Hoffmeyer) und ihrem Vater mit Sorge, später von den Anwohnern mit Hass beobachteten Veränderungen weder ästhetisch noch emotional unangenehm. In Einklang mit dieser positiven Interpretation der Transformation als physischer und psychischer Reifung kennzeichnet Maries Verwandlung nicht Schmerz, sondern Anmut. Diese sieht auch Thor, wenn er seiner Tochter sagt: „Du bist schön.“ In den herben Zügen der nuanciert agierenden Hauptdarstellerin spiegelt sich die Erhabenheit der Szenerie, der Kameramann Niels Thastum großartige Bilder entlockt. Die malerischen Einstellungen sensibilisieren für die Erlesenheit der schroffen Küstenregion, in der Marie sich wiederfindet.
Doch Geborgenheit ist trügerisch an einem Ort vermeintlicher Zivilisation, wo das Unbezwungene mehr Ablehnung als Anerkennung erfährt. Die fast ausschließlich männliche Perspektive auf das Geschehen unterliegt dieser Ambivalenz von Furcht und Begehren, repräsentiert durch Maries Kumpel Felix und Daniel, der mehr als ein Kollege sein könnte. Der naheliegende Vergleich mit So finster die Nacht wurde bereits bei der Uraufführung in Cannés bemüht, doch er gereicht der subtilen Werwolf-Fabel zu Unrecht zum Nachteil. Arnbys intensives Debüt ist stark genug, um eigenständig für sich zu stehen. Genau wie seine ungebrochene Heldin.
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