„Fast Food ist für Feiglinge, die sich nicht auf fremde Esskulturen einlassen wollen!“, heißt es in Stefano Sardos filmischer Hommage an einen ernährungstechnischen Bestseller. Carlo Petrini wäre demnach ein ganz Mutiger. Der Publizist und Begründer der Slow-Food-Bewegung stellt sich gegen schnelles, unkompliziertes Essen, das nicht weniger als eine „universelle Bedrohung“ der modernen Zivilisation sei. Doch Rettung naht aus dem piemontesischen Örtchen Bra, wo die Slow Food Story ihren Anfang nimmt.
Sardo ist nicht nur Regisseur der filmischen Chronik eines international über 10.000 Mitglieder zählenden Trends, sondern dessen aktiver Teil. Distanzmangel wird zur Crux des selbstverliebten Kinodebüts Petrinis Wegbegleiters und Freundes, dem jede Objektivität gegenüber der Thematik fehlt. Kleine animierte Spielereien und leutseliger Humor verdecken weder inszenatorische noch inhaltliche Defiziten. Was als Reportage auftritt, gerät zur Reklame für eine Kampagne, deren Ziele keineswegs so revolutionär und fortschrittlich sind, wie Sardos Hintergrundkommentar behauptet. Scheinheilige Konsumkritik gerät zur Plattform für reaktionäres Gedankengut und Elitarismus aus dem sehr vollen Munde von Leitfiguren, die einem paternalistischen Gourmet-Club ähneln. Die selbsterklärten Vorreiter waren eher Mitläufer der zahlreichen Öko- und Ernährungskonzepte, die in den 80ern und 90ern etabliert wurden. Eine der erschöpfend mit privaten Bild- und Druckdokumenten illustrierten Histörchen, die Petrini zum Erfinder des Recycling erklärt, zeigt exemplarisch, was er und seine Anhänger sich neben den Piemonter Spezialitäten noch so alles einverleiben.
Verspeisen ortstypischer Gerichten mit Muße und Genuss soll nahezu jedem Umwelt- und Gesundheitsproblem abhelfen. Wenn Petrini bei einem seiner gut besuchten Vorträge die Worte „Prosciutto“ und „Formaggio“ schmatzt oder der Restaurantbesitzer-Sohn beim Vino sitzt, erscheint sein Dogma als denkbar angenehme Kombination umwelt- und gesundheitsbewusster Ernährung. Ein Szenario, dass vom Lebensalltag sowie den materiellen und praktischen Möglichkeiten weniger Begüterter und Privilegierter so weit weg ist wie das dolce far niente. Köstliches regionales Essen in Ruhe zuzubereiten und einzunehmen erfordert zwei Dinge: köstliches regionales Essen und Ruhe. Und wer berufstätig ist, familiäre Verpflichtungen hat und /oder ein überschaubares Budget ? Um an diese Menschen zu denken, waren die grauen Eminenzen wohl etwas zu langsam oder in ihrem Gesellschaftsbild beschränkt. Auch, dass zahlreiche „traditionelle Gerichte“ einseitig, übermäßig kalorienlastig, unausgewogen und oftmals auch unappetitlich sind, ignorieren sie.
Dafür denken sie and die Jugend. In ungelenkem Denglisch beackert die Slow Food Youth Deutschland im Pressetext bereits die Jüngsten: „10 Dinge, die Du sofort tun kannst!“ Dinge wie das Lieblingsgericht der Oma kochen. Was an Instant-Schokopudding slow, besonders ökologisch und gesund ist, wird nicht erklärt. Nächstes Ding: keine Lebensmittel mit Strichcode kaufen. Dann mal her mit Käse-Wurst-Croissant vom Back-Shop, die Frittier-Fisch Box und Frappuccino. Vielleicht heißt die Alternative für die unteren Gesellschaftsschichten einfach, keine Lebensmittel kaufen – wenn die Großhändler Petrinis Mahnung folgen, dass Lebensmittel „teurer, teurer!“ werden müssen. Sozialhilfeempfänger, die gern Alnatura auf dem Teller hätten, aber nur Aldi bezahlen können, existieren in der Slow Food Welt nicht. Die Rittern der Tafelrunde hüten den Heiligen Gral der Esskultur für jene, die sich zeitlich, finanziell und aufwandstechnisch selbstgemachte Pasta und hausgebeizten Lachs leisten können. Vermutlich gibt es dazu eine Sonderklausel im Gründungsmanifest, das nicht nur tatsächlich Manifest heißt, sondern sich wie eines ließt: „Die Industriegesellschaft hat zuerst die Maschine erfunden und nach ihr das Leben modelliert.“
Dabei war das Leben wunderbar, ohne Herzschrittmacher, als Korn von Hand gemäht wurde, Nächte finster waren, mit Kohlen beheizt wurde. Schmiedet Stabmixer zu Pflugscharen! „Mechanische Geschwindigkeit und rasende Beschleunigung werden zur Fessel des Lebens.“ Die Rolltreppe steht, der Easy-Jet hat Verspätung, die Website lädt ewig. Von A wie Ampel bis Z wie Zug buchstabiert „Technisierung“ der Menschheit Untergang. Sogar dieser Text entsteht an einer Maschine – jeder Anschlag ein Schritt Richtung Apokalypse. Also sprach Petrini: „Der Homo Sapiens muss sich von einer ihn vernichtenden Beschleunigung befreien und zu einer ihm gemäßen Lebensführung zurückkehren.“ Die Revolution begleitet die Revalorisation alter Ernährungswerte: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. So bewirbt das Presseheft einen selbsterklärten Genussführer mit über 300 deutschen Gasthäusern, „die sich der traditionsbewussten und authentischen Küche ihrer Region verpflichtet haben“. Nachhaltigkeit und Lebensmittelqualität sind nachrangig, um Petrinis Parole von „gut, sauber und gerecht“ zu genügen. Dazu gehört ideologisches Bewusstsein!
„Slow Food ist eine Idee, die viele befähigte Anhänger braucht, damit aus der (langsamen) Regung eine weltweite Bewegung wird.“ Auch Du, Genosse, hältst die Küche sauber! Von Schnelligkeit, Strichcodes, Couscous, Bulgur und der sagenhaften Piemonte-Kirsche. „Fangen wir gleich bei Tisch mit Slow Food an!“, denn „Slow Food sichert uns eine bessere Zukunft.“ Prost Mahlzeit.
- OT: Slow Food Story
- Regie: Stefano Sardo
- Drehbuch: Stefano Sardo
- Produktionsland: Italien
- Jahr: 2013
- Laufzeit: 73 min.
- Cast: Carlo Petrini, Azio Citi
- Beitragsbild © Pandastorm Pictures