Mehr als eine Milliarde US-Dollar war dem auf Biotechnologie spezialisierte Agrarriese Monsanto im letzten Jahr die Forschung wert. Sein Ziel, zehn Prozent des Gesamtgewinns in die Wissenschaft zu investieren, hat der international operierende Konzern damit überschritten. Weitere Spenden dienen augenscheinlich wohltätigen Zwecken. So sollte 2010 Saatgut im Wert von vier Millionen an haitianische Bauern gehen. Der vom Forbes Magazin zum Unternehmen des Jahres gekürte Konzern kann 2011 sein 110-jähriges Firmenjubiläum begehen. Für Bertram Verhaag kein Grund zum Feiern. Sein ambitionierter Dokumentarfilm zeigt auf, wie Lobbyismus und Fördergelder zur Währung im perfiden Geschäft zwischen Wissenschaft und Agrarmultis werden.
Einer von zwanzig ist das Verhältnis von abhängigen und unabhängigen Wissenschaftlern. Ignacio Chapela und Arpad Pusztai zählen zu den fünf Prozent. Der in Mexiko geborene Biologe und der britische Biochemiker arbeiten heute in ungebundenen Forschungsprojekten. Was es bedeutet, auf der anderen Seite zu stehen, wissen beide aus bitterer Erfahrung. Chapelas 2001 veröffentlichter Bericht über die Vermischung von mexikanischem Mais und Genmais war der erste Artikel, den das Wissenschaftsmagazin Natur je zurückzog. Grund dafür waren die massiven Proteste Monsantos gegen den Bericht und Chapelas Person. Nahrungsmittelforscher Arpad Pusztai wurde, nachdem er im TV-Interview auf mögliche Gefahren genmanipulierter Kost hinwies, der Laborzutritt verwehrt und seine Unterlagen wurden eingezogen. Kündigung, Ausschluss aus dem Wissenschaftsgremium. Effektive Problemlösung und Exempel in einem.
Die Konzernspenden bezahlen Forschungseinrichtungen mit ihrer Souveränität. Unternehmen wie Monsanto behalten sich im Gegenzug für ihre großzügige Unterstützung umfassende Einflussnahme vor. Woran geforscht wird, welche Ergebnisse veröffentlicht und welche Studien unter Verschluss gehalten werden, bestimmen die Finanziers. Einen geringfügig kleineren Betrag als für Forschung steckt Monsanto in Lobbyarbeit und Politik. Wer bestimmte Beweisstudien wünscht, kann sie sich mit Förderkapital sichern. Verhaag legt den systematischen Scheinbeweis-Handel in seiner brennend aktuellen Doku in die Waagschale und hält dagegen Skepsis und den Mut zur Kontroverse. Was geglaubt wird, bestimmen Medien und propagierte Forschungspublikationen. Wer nicht über gewaltige Summen verfügt, muss Zeit, Aufwand und Engagement investieren.
Manche bezahlen für Gewissenhaftigkeit mit ihrer Karriere, ihrem Ruf oder der wirtschaftlichen Sicherheit. Ignacio Chapela und Arpad Pusztai sind nur zwei von vielen. Beim Versuch, die verzerrten Fakten objektiv zu relativieren muss Verhaags Inszenierung um die eigene Glaubwürdigkeit ringen. Die auf Spannung ausgerichteten Stilmittel, der belehrende Grundton und die überdeutlichen Intentionen konstituieren ein filmisches Pamphlet, dessen Hauptverdienst nicht Erläuterung der verstrickten Machenschaften zwischen den Agrar- und Biotechnologiekonzernen und Forschung ist. Stattdessen deckt die Reportage auf, dass jeder Glaube an eine souveräne Wissenschaft und uneigennützige Unterstützung der Forschung Illusion ist. Niemand tut grundlos etwas Gutes. Am wenigsten die, die skrupellos Schlechtes tun.
- OT: Scientists Under Attack
- Regie: Bertram Verhaag
- Drehbuch: Bertram Verhaag
- Produktionsland: Deutschland, USA
- Jahr: 2009
- Laufzeit: 88 Min.
- Kinostart: 10.03.2011
- Beitragsbild © GMfilms