Der Titel der Verfilmung des ersten Bandes von Veronica Roths Jugendbuchreihe wirkt wie ein unfreiwilliger Witz oder eine verzweifelte Behauptung. Abweichend ist das letzte, was Neil Burgers schematischer Teenie-Sci-Fi ist. Ironischerweise macht dies die romantisierte Morallektion im Gewand einer Dystopie zur kongenialen Adaption der Bestsellertrilogie, denn die verdankt ihren Erfolg offenbar gerade ihrem ermüdenden Formalismus.
Letzter zeigt sich schon auf dem Poster, das verdächtig nach „The Hunger Games“ und „Chroniken der Unterwelt“ aussieht. Der futuristische Handlungsrahmen einer strikt regulierten Gesellschaft, die jedem einen festen Platz zuweist, dessen phantasielose visuelle Gestaltung und der die fiktive Welt erklärende Off-Kommentar der jungen Heldin provozieren ein minutenlanges Deja-vu von The Host. Mit Stephenie Meyer fing es an, nicht erst mit ihrer zweiten Buchserie, sondern damals mit Twilight. Die Vampir-Saga war der Beginn einer Flut ähnlich konzipierter “Phänomene“, ausgewälzt über diverse Bände, die alle verfilmt werden müssen, und fokussiert auf eine junge weibliche Hauptfigur mit einem zackigen Namen wie Katniss oder Clarissa oder nun Tris (Shailene Woodley). Die anfangs scheue 16-Jährige heißt eigentlich Beatrice, aber sie kennt die Gesetze der Zielgruppenbedienung, auf die Drehbuchautoren-Duo Evan Daugherty (Snowwhite and the Huntsman) und Vanessa Taylor peinlich bedacht sind, so gut wie die der fiktiven Gesellschaft. „Regeln sind Regeln“, verkündet Tris zu Beginn der fast zweieinhalb Kinostunden, die dieses Prinzip auf inszenatorischer Ebene unermüdlich untermauern, indem sie alle Konventionen seichter Teenie-Unterhaltung befolgen.
100 Jahre nach einem undefinierten Krieg lebt der Rest der Menschheit im eingezäunten Chicago unterteilt in fünf Klassen mit unterschiedlicher Geisteshaltung, Kleidung und Lebensführung. Die Amity sind New-Age-mäßige Bauern, Candor die wahrhaftige Rechtsverwaltung, Erudite die Intelligenz und Abnegation Vertreter der Nächstenliebe. Aus einer Abnegation-Familie stammt Tris, die es zu den kämpferischen Dauntless zieht. Die unabänderliche Zuordnung zu einer Fraktion ähnelt der Wahl von College-Kursen. Es gibt einen Eignungstest, der die psychische Prädisposition anzeigt, und die Erwartungshaltung der Eltern. Wer entgegen selbstbestimmt eine andere Fraktion wählt, enttäuscht die Familie und womöglich das Staatssystem. Denn die auf Potentialausschöpfung ausgerichtete Siebtechnik schafft zugleich die Unterschicht der Fraktionslosen, die in ihrer Klasse versagt und den Anspruch auf Zugehörigkeit verwirkt haben. Tris droht ein schlimmeres Schicksal als den Freunden, die mit ihr im Lederjacken-Club der Dauntless um die Spitzenpositionen kämpfen. Denn sie gehört zur Titelkategorie der Abweichler, die mehrere gleichstarke Charakteristika vereinen.
Die Erudite-Führerin Jeannie Matthews (Kate Winslet), deren Klasse die Absetzung der kontrollierenden Abnegation plant, ist das Äquivalent zu Diane Krugers Seeker in „The Host“ und sucht nach Divergents wie Tris. Dauntless-Gruppenleiter Four (Theo James) ist quasi Peeta aus The Hunger Games und verbirgt eine seelische Narbe hinter der rauen Fassade. Könnte der verlorene Sohn des politische Abnegation-Führers womöglich …? Läuft da zwischen Tris und Four vielleicht …? Geht es noch vorhersehbarer? Der nervige Popsoundtrack diktiert den Rhythmus des Holzhammers, der einem die Botschaft einbläut: Intellektuelle und eine unabhängige Legislative sind potentiell gefährlich, die Nächstenlieben alias Kirche und Kämpfer respektive Armee tapfer und gut, auch wenn es vereinzelt schwarze Schafe gibt. Der Rest? Sozialschmarotzer oder Hippie-Farmarbeiter, die gerne schuften und laut Tris „immer fröhlich“ sind. Oder leicht beschränkt. Dafür hält Divergent augenscheinlichauch sein Publikum. Angepasst an die Kinokonvention, ist „rebellisch“ (so der Titel von Roths Fortsetzung) sein längst Teil der Norm, gegen die vermeintlich aufbegehrt wird.
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