Es ist deprimierend eine Filmkritik zu schreiben nach einer Auseinandersetzung – sei es auch eine so bequem schematische wie Rob Garvers dokumentarische Skizze – mit Pauline Kael. Ihr Metier ist im Verschwinden begriffen, kaum dass es sich etabliert hatte. Zu verdanken ist die kurzzeitige Manifestation der Filmkritik als mehr denn redaktionell redigierte Reklame, Fandom-Faning und Altherren-Akademismus zu großen Teilen Kael, die lapidar bemerkte: „It’s very difficult for men to accept the idea that women can argue reasonably.“ Very, very difficult. Doch die chauvinistischen Strukturen in Filmbranche und -kritik sind nur einer der unzureichend repräsentierten Aspekte eines spannenden Lebens, das die flaue Dokumentation abwürgt.
Without critics you have nothing but advertisers.
Pauline Kael
Die Inszenierung ist alles, was die Hauptfigur nicht war: konventionell und konformistisch, gefällig und genügsam, artig und angepasst. Während Kael aufgrund der miesen Filme bisweilen ihren Optimismus verlor, jedoch nie den Mut, den Qualitätsmangel aufzuzeigen, ist das wohlwollende Porträt peinlich bedacht, niemanden zu verärgern. Dabei ist Leute, insbesondere Männer, zu verärgern etwas, das Filmkritikerinnen quasi berufsmäßig tun. Kael, die regelmäßig von Leserschaft, beleidigten Filmemachern und anderen Kritikern attackiert wurde, wusste das. Ein amüsantes Paradox, für das die Story ebenso blind ist wie für andere Widersprüche ihrer Biografie. Die schrieb sie sich praktisch selbst via der Kritiken, in die oft persönliche Erlebnisse einflossen.
People don’t tend to like the good critic. If they like you, that’s when you should start getting worried.
Pauline Kael
Garver arrangiert Talking Heads, Archivaufnahmen und mehr Talking Heads als habe er ihre Texte in Gold gerahmt, aber nie gelesen. Originalität, Authentizität und Radikalität der bahnbrechenden Autorin werden nur schemenhaft greifbar. Die politische und sozialkritische Dimension ihres prägenden Schaffens verschwindet hinter redundanten Bestätigungen ihres Renommees. Der fortdauernde Kampf um berufliche Akzeptanz, die wirtschaftliche Instabilität („I came to the conclusion that it was just about impossible to make a living as a movie critic.“ Bitte das in Leuchtbuchstaben an einer Hauswand), die Jahre schwerer Krankheit verschweigt die brave Biografie. Nicht etwa, weil es Kael in unvorteilhaftes Licht rücken würde, sondern die Gesellschaft.
Pauline Kael – nie gehört? Dank schaut diese Doku, die einen uninspirierten, doch passablen Lebensabriss gibt. Ihr findet Kaels Texte klasse? Dann schaut diese Doku, obwohl sie nie einorganisches Persönlichkeitsbild evoziert, um der Archivaufnahmen willen und für einige unterhaltsame Interviews. Ihr hasst Kael? Dann schaut unbedingt diese Doku, zur Strafe dafür, dass ihr eine der krass coolsten Heldinnen der Filmkritik hasst. Überhaupt sollten alle Rob Garvers Langfilmdebüt trotz dessen lässlicher Fehler anschauen, damit es zukünftig mehr Dokumentationen über interessante Frauenfiguren gibt. Und zuletzt (Zitat: Kick-Ass Kael): „Without critics you have nothing but advertisers.“
- OT: What She Said: The Art of Pauline Kael
- Regie: Rob Garver
- Drehbuch: Rob Garver
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 95 min.
- Cast: Alec Baldwin, John Guare, Quentin Tarantino, Lili Anolik, David Edelstein, Greil Marcus, Paul Schrader, Gina James, Camille Paglia, Brian Kellow, Craig Seligman, Jaime Manrique, Carrie Rickey, James Wolcott, Molly Haskell, Philip Lopate, David O. Russell, Christopher Durang, Chester Villalba, Ortrun Niesar, Laurence McGilvery, Dirk Van Nouhays, Marcia Nasatir, Robert Towne, Joseph Morgenstern, George Malko, John Boorman, Tom Pollock, Stephanie Zacharek, Michael Sragow, David V. Picker, Daryl Chin
- Beitragsbild © Berlinale