Mit seinem ersten US-produzierten Langfilm baut Guy Nattiv auf das Festival-Prestige des gleichnamigen Kurzfilms, in dem er vergangenes Jahr die gleiche Thematik anging: White Supremacy. Beide Filme teilen neben dem Setting in einer perspektivlosen Arbeiterstadt, wo die Bauten so verkommen sind wie ihre Bewohner, den ausgeblichenen Farben, der ruppigen Handkamera und der herausragenden Danielle Macdonald in einer Hauptrolle die zentralen Motive: verlorene Unschuld, Verführung zum Bösen und Erlösung. Es klingt weniger nach einem unerbittlichen Blick auf den Ursprung von irrationalem Hass und dessen Ausbreitung denn nach einem Bekehrungsfilm. Ein solcher ist die ausgedehnte Story „inspiriert von wahren Ereignissen“ im Herzen.
Das schlägt einen Tick zu heftig für die falsche Seite. Es ist eindeutig die des Protagonisten, einem von Jamie Bell unter vollem Körpereinsatz gespielten Stellvertreter für immer neue Generationen aggressionsgeladener, gewaltbereiter junger Männer. Sie sind in der subtil den Fokus von den Auswirkungen rassistischer Gewalttaten abwendenden Inszenierung die wahren Opfer. Verstoßen von der leiblichen Familie, misshandelt und missachtet, ohne materielle oder persönliche Stütze. In dieser ausweglosen Lage ist die Neo-Nazi-Gang, hier genannt Vinlanders, die letzte Zuflucht. Für seine Freundin Julie (Macdonald) und alle, die es trotz des penetranten Vorexerzieren nicht kapiert haben, formuliert es Bryon (Bell) noch mal verbal aus.
Die charismatische Vaterfigur Gavin (Russel Posner) und dessen pathologisch mütterliche Freundin Shareen (Vera Farmiga) kümmerten sich um ihn, als es niemand sonst tat. Im Umkehrschluss reicht schon die Zuneigung der alleinerziehenden 3-fach Mutter Julie und das Engagement eines selbstverständlich afroamerikanischen Sozialarbeiters (Mike Colter) für die Wandlung vom Saulus zum Paulus. Damit die auch keinem entgeht, lässt er in einer als archaische Körperstrafe zelebriertem Reinigungsritual seine Nazi-Tattoos entfernen, und weint um seinen von der Gang ermordeten Hund – mehr als um irgendein menschliches Opfer rechter Verbrechen. Der echte Bryon Widner vermarktet unterdessen weiter die lukrative Geschichte seiner Sinneswandlung. Läuterung zahlt sich eben aus.
In seinem ersten US-Langfilm verkoppelt Guy Nattiv eine reale Geschichte, von der auf der Leinwand nurmehr Grundzüge übrig bleiben, mit einer satten Portion American History X. Das Resultat ist eine immer wieder in abgeschmackte Larmoyant verfallende Apologie für White Supremacists. Sie erscheinen als bemitleidenswerte Opfer äußerer Umstände, deren politische Systematik nie aufgezeigt wird. Moralische Verworfenheit erscheint als rein oberflächlich, adaptiert und entfernbar wie die Tätowierungen, von denen der Protagonist sich reinigt. Eine derart simplifizierte, verharmlosende und manipulative Präsentation von Neo-Faschismus kann das tadellose Darstellerensemble nicht aufwerten.
- OT: Skin
- Regie: Guy Nattiv
- Drehbuch: Guy Nattiv
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 117 min.
- Cast: Jamie Bell, Danielle Macdonald, Vera Farmiga, Bill Camp, Mike Colter, Zoe Colletti, Colpi Gannett, Kylie Rogers, Louisa Krause, David Henshall
- Beitragsbild © Berlinale