„Das sind wirklich Kinobegeisterte. Es sind Menschen, die mit uns ihre Leidenschaft für das Kino teilen möchten.“
Suhaib Gasmelbari
Ist das nicht eine ermutigende Beobachtung? Allerdings machte Suhaib Gasmelbari sie nicht in Berlin, sondern seinem Heimatland, wo „das Kino nicht mehr existiert, wo Filme nicht mehr existieren“. Dennoch glühen die Menschen dort für die Leinwand, mag sie auch windschief und sandgepeitscht hängen. Am Potsdamer Platz hingegen keine Spur von Filmfieber. Davon wollte Dieter Kosslick seine letzte Berlinale scheinbar gründlich kurieren, wie ein Staffelläufer, der den Stab nicht abgibt, sondern dem Team vor die Füße knallt. Trivialität, Konventionalität und Redundanz dominierten nicht nur den Wettbewerb, der auffällig kurz war. Als überwöge schon bei der Filmauswahl die Haltung der kindlichen Hauptfigur von Systemsprenger: „Keinen Bock!“ Es geht auch ohne. Das bewies die aberwitzige Prämierung von Angela Schanelecs Regie-Verweigerung in Ich war zuhause, aber.
PK-Moderatorin: “What about the animals? Can you explain the symbolism?”
A. S.: “It’s not symbolism. They’re just animals. (…) I think animals should live in a house to bring them closer to human beings.”
Doch, wirklich. Da ist die 69. Berlinale angekommen. Verzeihlich, das buchstäblich reihenweise Kolleg_innen wegpennten. Zwischendurch rüttelte Der Goldene Handschuh alle kurz mal wach. Danach hieß es wieder „Pssst!“. Kein Mucks zum Ausfall von Zhang Yimous Abschlussfilm One Second wegen „technischer Probleme“. Die technischen Probleme, wegen der bei Generation Better Days nicht laufen konnte und 2018 nicht The Shadow Play im Panorama. Zu den Erneuerungsanläufen des sudanesischen Kinos sagte Gasmelbari: „Die internationale Gemeinschaft sollte unterstützen, was im Sudan versucht wird. Und nicht nur im Sudan, auch in anderen Ländern.“
Wo ist die internationale Gemeinschaft, die aufmuckt, wenn Filmschaffende eingeschüchtert oder gar eingekerkert werden? Hier auf der Berlin augenscheinlich nicht. Die Jury unterstrich das mit ihrer Entscheidung für Synonyms, den Macho-Mythos Out Stealing Horses sowie den gottseligen By the Grace of God, dass Kritik an vorherrschenden Zuständen keinen Blumentopf gewinnt und erst recht keinen Goldenen Bären. Solange sich die Leute mehr aufregen, wenn Jackie Chan für seine Anbiederung beim Regime kritisiert wird, als darüber, dass seine Kollegen fürchten müssen, ihre Filme in vorgesehener Form vorzuführen, wird sich daran nichts ändern. Dafür ändert sich hoffentlich umso mehr zur 70. Berlinale. Nach einer gefühlten Ewigkeit Kosslick beschreibt die Emotionen jedenfalls statt Wehmut besser eine unübersetzbare englische Wendung: Good Riddance!
Persönliche Preisvergabe:
Bester Film: So Long, My Son
Beste Regie: Agnieszka Holland
Silberner Bär Großer Preis der Jury: Varda par Agnès
Beste Darstellerin: Helena Zengel
Bester Darsteller: Wang Jingchun
Silberner Bär Herausragende Künstlerische Leistung: Tamo Kunz (Production Design Der Goldene Handschuh)
Bester Erstlingsfilm: A Dog Barking At the Moon
Bestes Drehbuch: Öndög
Bester Dokumentarfilm: Ghost Fleet
Schlechtester Dokumentarfilm: The Biggest Little Farm
Naturfreundlichster Film: Sembradoras de Vida
Naturfeindlichster Film: Aruna & Her Palate
Bester Dokumentarfilm Politik/ Gesellschaft: Shooting the Mafia
Schlechtester Dokumentarfilm Politik/ Gesellschaft: 2040
Bester Spielfilm Politik/ Gesellschaft: Mr. Jones
Schlechtester Spielfilm Politik/ Gesellschaft: By the Grace of God
Visuell herausragendster Film: Mr. Jones
Visuell unterirdischster Film: Ich war zuhause, aber …
„Get out of my competition!“-Award: The Operative
„Can I take you home?“-Award: Das als Reittier, Raubtier-Späher und Rückenlehne gleichermaßen hilfreiche Knuddel-Kamel in Öndög
„Leave that book alone!“-Award: La Paranza Dei Bambini
Bärendienst: What She Said: The Art of Pauline Kael
Equal-Rights-Rating (0 – 10): 4 (Frauenanteil Wettbewerb: 34,78 %)
Berlinale-Taschen Rating: 7
Dümmstes Merchandise: Der offizielle Berlinale-Wein, der 2016er Gründerwein Ahr-Spätburgunder trocken. Für alle, denen einer nicht reicht, gibt es erneut die Berlinale-Wein-Box.
Das Festival aus Pressesicht in einem Filmzitat: „Time feels different. I call that subjective time.“ (Agnès Varda in Varda par Agnès)
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