Wenige Filme spiegeln die Swinging Sixties so mitreißend wieder wie Michelangelo Antonionis satirischer Thriller. Die auf einer surrealistischen Erzählung Julio Cortazars basierende Story setzt der Flüchtigkeit der Ära ein Denkmal. Der grelle, schreiende Materialismus entpuppt sich als leere Hülle. In brillanten Dialogen voll trockenen Humors und ebenso pointierten wie visuell reizvollen Szenen erhebt er die Scheinwelt zum Kult, während er sie zugleich ironisch kritisiert. Fotomodell Veruschka ist eine der Ikonen der Sechziger, wie Jane Birkin und The Yardbirds, die der Film vorführt, wie der Hauptcharakter seine Modelle. Sie sind Namenlose, deren Persönlichkeiten in den unzähligen aufgesetzten Identitäten verloren gegangen scheinen. Die übermäßige Reduplikation führt wie die extreme Vergrößerung zur Auflösung und damit zur Desintegration des eigentlichen Motivs. Der Fotograf ist Täter, Zeuge und indirekt auch Opfer dieses Prozesses.
Zwischen Shootings, Partys und beiläufigen Affären mit ehrgeizigen Modellen treibt das Leben des Londoner Modefotografen Thomas (David Hemmings) vor sich hin. Der narzisstische Protagonist ist vernarrt in sich selbst und seinen Erfolg. Die Kehrseite seiner fotografischen Scharfsicht ist die Unfähigkeit, die Leere seiner Existenz zu erkennen. In Michelangelo Antonionis Meisterwerk gibt es nur die Oberfläche. Umso mehr man sie zu durchdringen versucht, umso unerbittlicher wird man auf sie zurückgeworfen. Und alles, was oberflächlich ist, ist womöglich nur Prätention, gestellt wie die Posen, die Thomas ablichtet. Auch er selbst ist voller Prätention, wenn er für seinen Kunstband auf Motivsuche loszieht. Tatsächlich treibt ihn Voyeurismus, der ungezügelt hervorbricht, als er ein ominöses Paar im Park beobachtet. Thomas redet sich ein, er werde womöglich ein Verbrechen aufdecken. Tatsächlich legt er immer mehr seine eigene versteckte Perversion offen. Er erpresst die junge Frau (Vanessa Redgrave) auf den Bildern subtil, in seine Wohnung zu kommen.
Aus seinen bizarren Erlebnissen bleibt ihm lediglich die magere Erkenntnis, dass jedes Ding so viel Bedeutung hat, wie ihm beigemessen wird. Die Überbewertung des Trivialen ironisiert Blow-Up in einer Szene, in der Fans der Yardbirds sich auf den Hals einer zertrümmerten Gitarre stürzen. Außerhalb des Clubs ist das Souvenir nur noch Müll. In diesem Sinne haben auch Thomas’ Bilder keinen eigenständigen künstlerischen Wert, sondern nur den kommerziellen Wert, den ihnen Käufer, Magazine oder Modelle zusprechen. In kindischer Rache verachtet Thomas gerade die Menschen, die sein Ego füttern und auf die er professionell angewiesen ist. Hebt er in der letzten Szene bei einem pantomimischen Tennisspiel einen imaginären Tennisball auf, greift er symbolisch nach dem Unsichtbaren, dem Unfassbaren, dessen Existenz er nur dank anderer erahnen kann. Die Pantomimen haben die Oberfläche symbolisch durchdrungen. Thomas wird dies nie gelingen. Er kann bei ihrem Fantasiespiel, das kreative Freiheit verkörpert, nicht mitspielen. Gleich einem Spiegel kann er nur reflektieren, nicht erschaffen.
Der Protagonist erhascht einen vagen Einblick in seine künstlerische Unfruchtbarkeit. Am Ende findet er sich damit ab und überlässt das Spielfeld den Schöpferischen, den Pantomimen – und Antonioni.
- OT: Blow-Up
- Regie: Michelangelo Antonioni
- Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Julio Cortázar
- Produktionsland: UK, USA
- Jahr: 1966
- Laufzeit: 111 min.
- Cast: Vanessa Redgrave, Sarah Miles, David Hemmings, John Castle, Jane Birkin, Gillian Hills, Peter Bowles, Veruschka von Lehndorff, Julian Chagrin, Claude Chagrin, Jeff Beck, Susan Brodrick, Tsai Chin, Julio Cortázar, Chris Dreja, Melanie Hampshire
- Kinostart: 11.05.1967
- Beitragsbild ©