Verzeihlich, dass Renate Reinsve nach dem Karriere-Kick durch die Hauptrolle in The Worst Person in the World erneut mit Joachim Trier dreht. Vorhersehbar, dass beider Film erneut im Wettbewerb von Cannes läuft, wo vor drei Jahren ihre letzte Zusammenarbeit Premiere feierte. Verständlich, dass der norwegische Regisseur den kommerziellen Erfolg seines für den Oscar nominierten Werks mit einer Fortsetzung wiederholen will. Doch nichts davon macht irgendetwas besser an dem bourgeoise Beziehungsreigen um die professionellen und privaten Konflikte zweier Schwestern und deren schwieriger Vaterfigur.
Letzt ist Gustav Borg (mechanisch: Stellan Skarsgård), ein ikonischer Autorenfilmer auf halbem Weg zwischen Ingmar Bergman und Werner Herzog. Sein als gediegenes Genie behandelt die patriarchalische Story als Fakt, im Gegenteil zum neurotischen Naturtalent seiner älteren Tochter Nora (Reinsve). Mehr noch als ihre Schwester Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas) fühlt die Theaterschauspielerin tiefen Groll gegen den Vater. Der arbeitet dennoch auf Vernunft und Versöhnung hin, buchstäblich mit einem neuen Skript. Dessen von seiner Mutter inspirierte Hauptrolle ist angeblich perfekt für Nora.
Sie weigert sich trotzdem, das Drehbuch zu lesen. Aus der paternalistischen Perspektive ein klarer Fehler aus infantiler Sturheit, den Nora fast zu spät erkennt. Als Borg in US-Star Rachel Kemp (Elle Fanning) Ersatz für sein Filmprojekt findet, fühlt Nora sich sowohl als Schauspielerin als auch Tochter ausgebootet. Ihr unvermeidliches Umdenken ist ein Schlüsselaspekt der der apodiktischen Handlung, die Noras Ablehnung nie anerkennt oder begründet. Ein paar triviale Rückblenden bestärken die Banalisierung ihrer emotionalen Distanz zu beleidigter Unreife.
Symptomatisch für jene erscheint ihr Widerwille gegen die Gründung einer konservativen Kernfamilie. Keinen Kinderwunsch und Sehnsucht straighter Monogamie zu haben, gilt als Selbstbetrug, Kindheitsdefekt oder Neurose. So wie Noras aberwitzige Aktionen vor jedem ihrer Theaterauftritte, die der burleske Auftakt illustriert. Männer finden in künstlerischer Verwirklichung ihre Bestimmung, Frauen als in der Familie. Dieses reaktionäre Gender-Dogma ergänzt Borgs Appropriation des Kriegstraumas seiner Mutter, die von den Nazis gefoltert wurde und später den Freitod wählte. Ihr Leid ist einzig relevant in seiner Auswirkung auf Borg.
Ihm gilt als angeblich wahres Opfer Noras Mitgefühl und die Sympathie des Regisseurs. Dessen Film-im-Film fließt schließlich Triers Inszenierung in bezeichnendem Gestus der Selbsthuldigung. Jener gravitätische Gestus steht in ungelenkem Kontrast zum brachialen Intro; der Endpunkt des tonalen Abfalls von einem peinlich bieder-bürgerlichen Witz zu Ernst und schnöder Rührseligkeit. Atmosphärisch verstärkt wird der unterkühlte Rahmen durch die matte, dunkle Farbskala der von langen Abblenden abgegrenzten Szenen. Der emotionale Soundtrack komplettiert das kunsthandwerkliche Kalkül des altväterlichen Lehrstücks. Maßgeschneiderter Moralismus für eine ewiggestrige Gegenwart.
Nichtmal Renate Reinsves engagiertes Schauspiel bringt Glaubwürdigkeit in Joachim Triers reaktionärem krudem Konstrukt weiblicher Widersprüchlichkeit und Verbohrtheit. Ihre dauerverheulte Darstellung ist Instrument eines manipulativen Machismo. Der betrachtet Frauen als große Kinder, die männlicher Leitung bedürfen; im Leben und in der Kunst. Deren zutiefst bornierte Auslegung sieht Männer als Schöpfer, Frauen als kreatives Material. Zweites muss im Fall des verstaubten Vater-Tochter-Konflikts erst zurechtgebogen werden. Nur so passt es in das vorgestrige Familienbild, aber weiblichen Individualismus als destruktiven Defekt auslegt. Ein Sequel im Geiste, noch altväterlicher als der Vorgänger.
- OT: Affeksjonsverdi
- Director: Joachim Trier
- Year: 2025