„Ich bin müde“, sagt der Straßenbahnschaffner Juvenal in einer Szene. Das ist eine Aussage, mit der sich alle ZuschauerInnen identifizieren können, wenn sie sich durch das langatmige Drama von Marcelo Gomes und Cao Guimaraes quälen. Über diesen Satz hinaus bietet der zähe Beitrag im berlinale Panorama nicht viele Anknüpfungspunkte. Schauwerte? Inhaltliche Aussagen? Atmosphäre? Fehlanzeigt. Der unzugängliche Hauptcharakter schweigt hartnäckig vor sich hin. Damit ist er nicht der einzige in Brasiliens Millionenstadt Belo Horizonte. Seine Kollegin Margo starrt ebenfalls gern stumm ins Leere, zur Abwechslung auch mal auf ihr Smartphone oder den PC-Bildschirm, was bei den stupiden Spiel- und Dating-Websites, die sie dort aufruft, auf das gleiche herauskommt. „Mit Menschen klar zu kommen, das ist schwer“, bemerkt Margo, „Denn Maschinen versagen nicht.“
Einmal überwindet sie sich, Juvenal anzusprechen. In der tristen Betoneinöde, wo jeder auf sich konzentriert scheint, ist die verbale Annäherung bloß Eigennutz. Margo braucht einen Trauzeugen für ihre Hochzeit mit einer Online-Bekanntschaft und da sie keine realen Freunde hat, fällt ihr nur Juvenal ein. Bloß nicht zu viele Charaktere einbauen, dachte sich das Regie-Duo offenbar, sonst entgeht dem Publikum noch etwas von der Geschichte. Deren literarische Vorlage stammt von einem Autor, dessen Namen in Zusammenhang mit dem drögen Konstrukt zu nennen, fast Blasphemie scheint: Edgar Allan Poe. Die Alltagsstudie einer anankastischen Persönlichkeit in einer indifferenten Gesellschaft ist somit die ermüdendste Edgar-Allan-Poe-Adaption, die die Welt gesehen habe (und die Welt kennt die obskure Kurzfilmversion von The Tell-Tale-Heart). Besser als nichts? Nein, noch viel, viel schlimmer.
- OT: O Homem das Multidões
- Regie: Marcelo Gomes, Cao Guimarães
- Drehbuch: Marcelo Gomes, Cao Guimarães
- Produktionsland: Brasilien
- Jahr: 2013
- Laufzeit: 95 min.
- Cast: Paulo André, Sílvia Lourenço, Jean-Claude Bernardet
- Beitragsbild © Berlinale