Nach seinem oscargekrönten Drama Das Meer in mir nahm Alejandro Amenabar erneut einer tragischen Lebensgeschichte nach wahren Begebenheiten. Letzte liegen bei dem ambitionierten Historienepos allerdings einige Jahrhunderte zurück und seine Figur ist eine der am wenigsten beachteten und bekannten der Antike. Die perfekten Voraussetzungen für dramaturgische Freiheiten nutzt der spanische Regisseur in seinem gemeinsam mit Mateo Gil verfassten Drehbuch jedoch entgegen aller Gepflogenheiten für eine Vertiefung der Charaktere und der intellektuellen Konflikte. Auf die für Sandalenfilme typischen Actioneinlagen wie Kreuzigungen, Vulkanausbrüche und Gladiatorenkämpfe verzichtet der Plot weitestgehend. Amenabar und Gil haben spannenderes zu erzählen, nämlich aus dem Leben einer der herausragenden Philosophinnen der Antike.
Hypatia (Rachel Weisz) unterrichtet in der berühmten Bibliothek von Alexandria Astronomie und Mathematik. Viele ihrer Bewunderer sind allerdings weniger von ihrer Klugheit fasziniert als von ihrer Schönheit, Bekanntheit und Keuschheit. Da möchte jeder gern der erste sein, so auch ihre Schüler Davus (Max Minghella), Orestes (Oscar Isaac) und Synesius (Rupert Evans). Jeder der drei versucht im Laufe der in zwei Akte unterteilten Handlung auf seine eigene Weise Hypatia zu besitzen. Der Aristokrat Orestes macht ihr eine pompöseLiebeserklärung, der Sklave Davus hingegen versucht durch Taten ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Der selbstgerechte Christ Synesius wiederum will Hypatia unterwerfen, in dem er ihr seinen Glauben aufzwingt. Doch die große Liebe der Hauptfigur ist die Wissenschaft. Obwohl die historischen Fakten das festlegen, überrascht es, dass eine Filmbiografie mit Starbesetzung und großem Budget sich danach richtet. So muss man sich nicht über eine aufoktroyierte Romanze ärgern, sondern erlebt glaubwürdige und nachvollziehbare Höhepunkte im Leben der Protagonistin. Das sind ihre astronomischen Entdeckungen und ihr Erkenntnisgewinn, darauf verweisen die schwellende Filmmusik und die konzentrierten Kameraeinstellungen.
Dieser in Filmbiografien für gewöhnlich ausschließlich Männern zugestandene Drang zu persönlicher Freiheit und Wissenschaft macht Hypatia zu einer bemerkenswert emanzipierten Frauengestalt. Ihre Treue gegenüber ihrem wissenschaftlichen Streben steht im Kontrast zum politischen und sozialen Opportunismus ihrer Verehrer. Hypatias Tragödie ist nicht die Ablehnung eines Dasein als Ehefrau und Mutter, sondern die Zerstörung der aufklärerischen Kultur, die sie vertritt. Agora bezog harsche Kritik für die realistische Darstellung des Christentums als aggressiver, obskurantistischer Gegenbewegung zum hellenischen Forschergeist. Alexandrias Bibliothek weckt als Unterrichtsstätte und Symbolort den Hass der Christen, zu denen schließlich auch Davus und Orestes überlaufen. Die Bibliothek verwüstet und Hypatia sieht sich bei ihrem Streben nach Weisheit immer größeren Hindernissen gegenüber. Gewalttätige religiöse Konflikte und der Widerstreit von Wissenschaft und fanatischer Demagogie bilden den Kern der Story. Der Titel ist die altgriechische Bezeichnung für einen Platz zur öffentlichen Diskussion von Politik und Religion und verweist auf die geistige Freiheit, das Hypatia und mit ihr die Gesellschaft verlieren wird.
Das eigenwillige Epos mag seine Schwächen haben, doch die werden durch den außergewöhnlichen erzählerischen Ansatz mehr als ausgeglichen. Die Heldin ist in eine Ausnahme darin, dass sie ihr Biopic sie nicht auf ihre Sexualität und überholte Rollenschemata reduziert.
- OT: Agora
- Regie: Alejandro Amenábar
- Drehbuch: Mateo Gil, Alejandro Amenábar
- Produktionsland: Spanien
- Jahr: 2009
- Laufzeit: 141 min.
- Cast: Rachel Weisz, Max Minghella, Oscar Isaac, Ashraf Barhom, Michael Lonsdale, Rupert Evans, Homayoun Ershadi, Sami Samir, Richard Durden, Omar Mostafa, Manuel Cauchi, Oshri Cohen, Charles Thake, Harry Borg, Yousef ‘Joe’ Sweid, Clint Dyer
- Kinostart: 11.03.2010
- Beitragsbild © Tobis