Die Stunde nach Mitternacht ist Sinnbild des psychologischen Zwielichts zwischen lichter Vernunft und finsterem Wahn in Ingmar Bergmans verschachteltem Schauerstück. Dessen dokumentarische Einleitung vertieft das psychische Gefälle zwischen den Hauptfiguren, deren unterschiedliche Realitätsauffassungen schließlich in rigoroser Negation einer weiblichen Perspektive angeglichen werden. Die vermeintliche Klarsicht, die Alma Borg (Liv Ullmann) gegenüber ihrem Mann Johan (Max von Sydow) zu repräsentieren scheint, entpuppt sich als naive Illusion, wie die Gestalten, von denen sich Johan verfolgt meint, als Schreckgespenster enthüllen. Die narrative Bestätigung des Wahns als Wahrhaftigkeit ist beklemmend und dennoch unfreiwillig amüsant als Verweis auf ein rigides Konzept von männlicher Geistesüberlegenheit.
The demons are innumerable, arrive at the most inappropriate times and create panic and terror.
Ingmar Bergman
Zur kognitiven Distanz des prototypischen Figurenpaares Alma und Johan kommt die emotionale, veranschaulicht durch Johans Tagebuch. Erst durch dessen Fund erschließt sich Alma der Zustand ihres Mannes, der sich vor seinen in Menschengestalt verkleideten Dämonen in eine entlegene Inselhütte geflüchtet hat: die Frau mit Hut (Naima Wifstrand), seine einstige Geliebte Veronika Vogler, den Vogelmann und Baron von Merkens (Erland Josephson), der das Paar in sein baufälliges Schloss zu Gesellschaften lädt. Das ursprünglich „Die Menschenfresser“ betitelte Werk basiert auf dem gleichen Skript wie Persona. Beide Projekte sind zugleich Horrorfilm und Psychogramm. Die surrealen Alptraum-Skizzen verbindet die Angst vor dem Wesensverlust.
Übergeordnetes Angstmotiv der surrealen Alptraum-Skizzen ist die vorm Wesensverlust. Die Menschenfresser sind Vogelwesen und als solche semantische omnipräsent: der Vogelmann, Borgs frühere Geliebte namens Vogler – derselbe Nachname, den in Persona Schauspielerin Elisabeth (ebenfalls Liv Ullmann) und in Das Gesicht Max von Sydows Doktor-Figur trägt. Während der Mann physisch verschwindet, verliert die Frau ihre Individualität durch Angleichung an ihn. Unbewusst ist Johan selbst eine jener seelenverschlingenden Kreaturen, die er fürchtet. Doch die angedeutete bevorstehende Auflösung Almas besitzt anders als Johans keine Relevanz. Als Frau existiert sie bei Bergman nur in Korrelation zum Mann; sein Verschwinden macht sie redundant.
- OT: Vargtimmen
- Regie: Ingmar Bergman
- Drehbuch: Ingmar Bergman
- Produktionsland: Schweden
- Jahr: 1968
- Laufzeit: 99 min.
- Cast: Liv Ullmann, Max Von Sydow, Erland Josephson, Gertrud Fridh, Gudrun Brost, Georg Rydeberg, Ulf Johanson
- Kinostart: 01.03.1968
- Beitragsbild © Arthouse
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