Eine passende Übersetzung des vielschichtigen Titelbegriffs Ryuya Suzukis viszeralen Spielfilm-Debüts ist ebenso diffizil wie den Inhalt des fiktiven Biopics zu beschreiben. Der Begriff, der innerhalb des assoziativen Szenarios als Name einer Late Night Talkshow auftaucht, bedeutet soviel wie „Leben“. Doch darin eingeschlossen die Gesamtheit des Erfahrungswerts eines Menschen, die schöne und schmerzliche Erinnerungen, Gedanken und Gefühle. Jene bestimmen den erratischen Plot mehr als konkrete Ereignisse. Obzwar enorm viel geschieht in den zehn idiosynkratischen filmischen Kapiteln.
Jene begleiten den verschlossenen Protagonisten (Stimme: Rapper Ace Cool) von seiner Kindheit in den 90er bis zum Tod in einer dystopischen Zukunft. Er werde im Leben viele Namen bekommen, sagt sein Stiefvater, der ihn nach dem Tod der Mutter in einem tristen Provinzort großzieht. Zur Bestätigung hat der Regisseur, der sein Werk im Alleingang schrieb, animiert, schnitt und dazu den Soundtrack lieferte, keinen Namen für seinen undurchsichtigen Charakter. Der steigt fast wiederwillig zum Pop-Star auf.
Der Reiz des vom materialistischen Management mechanisch geplanten Ruhms währt kurz. Das Boyband-Leben enthüllt seine exzessiven Schattenseiten, die in eine neue, noch pessimistischere Episode übergehen. Abgründe gähnen im Alltäglichen, Trivialen. Angst, Einsamkeit, Hass, Leere. Inmitten eines sozialen Umfelds, das dem mit Apathie und mentaler Abwesenheit beiwohnt. Die minimalistischen Animationen visualisieren den bizarren Kontrast zwischen den drastischen Aktionen und Emotionen vereinzelter Figuren und deren desinteressierter Registration. In Einklang damit dominieren Grau, Schwarz und Weiß die reduzierte Farbpalette.
Verlust, Tod und Isolation prägen den Lebenslauf des Protagonisten, dessen Motivation und Empfindungen kaum auszumachen sind. Bis zuletzt bleibt der Hauptcharakter fremd und unnahbar. Die zwischenmenschliche Distanz, die alle Figuren in den minimalistischen, geometrischen Bildern zu trennen scheint, besteht auch zwischen dem Anti-Helden und dem Kinopublikum. Immer wieder verliert sich die bedrückende Szenerie in Symbolismus und Abstraktion, ohne eine einheitliche Formensprache zu finden. Es bleibt eine morbide Faszination mit der stillen Eruption einer undurchdringlichen Psyche.
Misanthropisch, makaber und mesmerisierend bricht sich Ryuya Suzukis eigenwilliges Debüt-Anime auf der Leinwand Bahn. Aus der praktischen und finanziellen Beschränkung des gänzlich eigenständig kreierten Werks macht der Regisseur eine Tugend. Reduktion, Minimalismus und Abstraktion werden zu distinktiven Stilmitteln der extrem introvertierten Form. Karge, kalte Szenerien spiegeln die seelische Stagnation einer von Assimilation und Abstumpfung geprägten Gesellschaft. Sarkastische Komik relativiert die gewichtigen Themen von sexueller Belästigung bis zu Überalterung, die angerissen, aber nie ausgearbeitet werden.
- OT: Jinsei
- Director: Ryuya Suzuki
- Year: 2025