A very privat Gentleman nannte Martin Booth den Hauptcharakter seines Romans, auf dem Anton Corbijns unterkühlter Thriller basiert. Der niederländische Foto- und Filmkünstler zentriert seinen zweiten Spielfilm ganz um die Titelfigur. Dennoch oder gerade deshalb ist sein Protagonist nahezu Gegenpart des Romanhelden. Eines Tages taucht der Amerikaner in einem stillen italienischen Bergort auf. Er sagt, er sei Fotojournalist, doch trägt nie eine Kamera. Vor den Einwohnern gibt er sich einen Namen, tatsächlich ist er ein Namenloser. Dorfpfarrer Benedetto (Paolo Bonacelliahnt) erahnt ein düsteres Geheimnis hinter der undurchdringlichen Fassade. Doch der Amerikaner beantwortet nicht gerne Fragen. Er genießt es scheinbar, sich in der Gestalt des rätselhaften Fremden zu verlieren. Die Romanfigur ist Schmetterlings-Zeichner. Corbijns Protagonist trägt einen Schmetterling tätowiert und beobachtet einen Schmetterling, der sich auf dem Arm der kühlen Mathilde (Thekla Reuten) niederlässt.
Sein Interesse an dem Insekt und der Frau bleibt jedoch dramaturgisch unergründet, wie fast alles an dem Charakter. Für einen mysteriösen Auftraggeber schließt er mit Mathilde einen Handel ab. Er ist ein Profi, der Beste seines Fachs. Dabei will er keine Gefühle zwischen seine Geschäfte kommen lassen, aber wie vorhersehbar, passiert ihm das doch – und das nicht zum ersten Mal. Statt ausgearbeiteter Persönlichkeit ist der Held der klinischen Hochglanz-Inszenierung eine schablonenhafte Paraderolle für den Hauptdarsteller. Clooney spielt den Typen, den er am häufigsten und besten spielt: George Clooney. So überwiegt die dumpfe Künstlichkeit aalglatten Unterhaltungskinos. Nette Details wie die genau Beobachtungsgabe des Protagonisten, mit der sich der Regisseur offenbar identifiziert bleiben Randaspekte. Stilistische Spielereien können aus der Fingerübung nicht mehr machen als solide Handwerksarbeit. Routiniert erweckt Corbijn in dem beschaulichen Bergdorf eine Atmosphäre unterschwelligen Misstrauens. Alle scheinen Jack zu beobachten. Jeder scheint ein wenig zu viel zu wissen.
Vermeintlich tiefschürfende Sätze sind nur hohle Hollywoodfloskeln: „Alle Menschen sind Sünder. Aber manche sind größere Sünder als andere“, sagt Pater Benedetto. Klar, wenn es extra bedeutungsschwer zugehen soll, lässt man einen Priester sprechen. Über solche inszenatorischen Standardkniffe vernachlässigt der Plot spannendere psychologische Aspekte wie die angedeuteten geistigen Parallelen zwischen Benedetto und dem Amerikaner, die sich beide als stille Außenseiter betrachten. Wie viel Heuchelei möglicherweise unter ihrem selbstgerechten Gebaren steckt, darüber scheint sich Drehbuchautor Rowan Joffe selbst nicht ganz im Klaren gewesen zu sein. Alle Schafe seiner Herde seien ihm teuer, sagt Pater Benedetto, aber manche teurer als andere. Klingt verdammt nach dem Spruch mit den Sündern und ist nicht das einzige Mal, dass die Handlung auf der Stelle tritt. Statt das sich die Spannung steigert, breitet sich während der Laufzeit zunehmend Langweile aus.
Entfernt erinnert die passable Stilübung an einen sonnendurchfluteten Neo-Noir, dessen stoischer Held sein eigenes Verderben besiegelt. Für Fans von George Clooney oder Anton Corbijn ist der Film eine mittelmäßige Ergänzung des Kanons, für alle anderen ist er verzichtbar.
- OT: The American
- Regie: Anton Corbijn
- Drehbuch: Rowan Joffe, Martin Booth
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2010
- Laufzeit: 105 min.
- Cast: George Clooney, Irina Björklund, Lars Hjelm, Björn Granath, Johan Leysen, Paolo Bonacelli, Giorgio Gobbi, Silvana Bosi, Thekla Reuten, Guido Palliggiano, Samuel Vauramo, Antonio Rampino, Violante Placido, Ilaria Cramerotti, Angelica Novak, Isabelle Adriani
- Kinostart: 16.09.2010
- Beitragsbild © Tobis