Wieso konnte sie so gut darüber schreiben, wie es ist, ein Kind zu sein, obwohl sie selbst nur so kurz Kind war? Die Frage, die Pernille Fischer Christensen in Form eines Geburtstagsbriefs von Kinderhand an den Anfang ihres trivialen Biopics stellt, bleibt unbeantwortet. Der Brief ist einer von Hunderten, die eine greise Astrid Lindgren in der Rahmenhandlung öffnet. Etwas muss diese Frau geleistet haben, dass Kinder überall auf der Welt sie lieben, aber was, wie und dank welcher Fähigkeiten, dafür interessiert sich die beliebige Historienromanze nicht. Der Plot kreist um das eine Thema, das fast unvermeidlich im Mittelpunkt steht, wenn die Geschichte einer berühmten Frau verfilmt wird: ihre Affären und Romanzen. Leben meint im Bezug auf Protagonistinnen Liebesleben.
Das der eigensinnigen Astrid Ericsson (Alba August) beginnt wenig romantisch mit der Affäre mit dem verheirateten Zeitungsverleger Blomberg (Henrik Rafaelsen). Der ist nicht nur alt und schmierig sondern zu feige, der 18-Jährigen und beider Kind beizustehen. Seine Rolle wird zu der eines gutwilligen, mit einer hysterischen Gattin geplagten, von seiner frühreifen Sekretärin Verführten geschönt. Lindgren wiederum wird zum hilflosen Kindskopf, abhängig von Blomberg und der Pflegemutter Marie (Trine Dyrholm), die Astrids Sohn Lasse betreut. Keine Spur von der Selbstbestimmtheit, Entschlossenheit und Kraft, mit die reale Lindgren eine Heirat ablehnte und sich selbst als arbeitende Alleinerziehende durchschlug. Keine Spur von dem sozialen Stigma, das sie unverheiratete Mutter traf. Kein Wort von der Veröffentlichung ihrer ersten Geschichte mit 26 Jahren.
Dieses Alter qualifiziert eine weibliche Autorin wahrscheinlich nicht mehr als jung und „Die junge Astrid“ sollte der Film ja ursprünglich heißen. Typen wie Fitzgerald oder Jack Kerouac gelten bis zum Zeitpunkt ihres Todes als junge Wilde, aber bei Frauen „tickt die Uhr“, wie die Protagonistin gewarnt wird. Sobald sie die 25 überschritten ist – verwandeln sich Frauen schlagartig in strenge Matronen wie Young Victoria oder steuern ihr Flugzeug ins Land der Verschollenen wie Amelia. Und was haben Paula, Maudie, Jane, Sylvia und all die anderen mit noch gemeinsam? Sie werden in Filmtiteln penetrant infantilisierend mit Vornamen angeredet. Astrid trifft es besonders hart, sie ist nicht einmal Astrid, sondern muss es erst werden. Das schafft sie allein durch Männer.
War die Autorin, die sich lange vor Erfindung ihrer ersten Heldin Pippi Langstrumpf mit 34 Jahren gegen zahlreiche Widrigkeiten behauptete, als Kind ein Niemand? Und wenn sie nie zu Ruhm gelangt wäre, wäre sie dann ein Niemand geblieben? Das Drehbuchautoren-Gespann propagiert dieses angepasste Bild jedenfalls. Ihre Titelfigur bestimmt ihre Laufbahn nicht selbst, sondern richtet sich nach ihren Partnern. Erst Blomberg (Henrik Rafaelsen), der ihr, wie die Inszenierung suggeriert und das Pressematerial angibt „beibringt, Texte zu schreiben“, dann Sture (Björn Gustafsson), dessen Nachname Lindgren quasi ein Spoiler ist. Er erscheint als edelmütiger Unterstützer just dann, als Astrid Kind, Arbeit und materielle Not erstmals zusetzen. Wer die wahre Astrid Lindgren sucht, findet sie in ihren Werken, nicht in der mutlosen Kostümromanze.
Hübsch und adrett, gepolstert in Zeitkolorit voller malerischer Landschaften und wohlmeinender Menschen, macht das brave Biopic aus einer progressiven Schriftstellerin und faszinierenden Persönlichkeit ein austauschbares junges Mädchen, das trotz unbeschwerten Leichtsinns das Glück hat, zur richtigen Zeit die richtigen Männer zu treffen. Lindgrens Genie, Inspiration und kreative Entwicklung werden ignoriert, um Platz für ersten Sex, Liebe, Herzschmerz und Familienglück zu machen. Die Schöpferin starker Mädchenfiguren wird selbst zu einer schwachen gemacht.
- OT: Unga Astrid
- Regie: Pernille Fischer Christensen
- Drehbuch: Kim Fupz Aakeson, Pernille Fischer Christensen
- Produktionsland: Schweden, Deutschland, Dänemark
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 123 min.
- Cast: Alba August, Maria Bonnevie, Trine Dyrholm, Henrik Rafaelsen, Magnus Krepper, Björn Gustafsson
- Beitragsbild © Berlinale