Dramaturgische Unentschlossenheit und ein Hang zum Übererzählen sind fast schon charakteristisch für Mamoru Hosoda – genau wie ausdrucksstarke Bilder voll subtiler Details und eine Vorliebe für anspruchsvolle Themen. In seinem dritten Autoren-Anime drängen sich von Zweiten so viele, dass sie die äußerlich schlichte Handlung bisweilen zu erdrücken drohen. Belastende Familienverhältnisse, traumatische Verlusterfahrungen, Verunsicherung und die Schattenseiten eines virtuellen Wunderlands, in dem Selbstzweifel und Sorgen vorübergehend vergessen sind, bestimmen die Entwicklung der jungen Heldin (Kaho Nakamura).
Das surreale Abenteuer der verschlossenen Oberschülerin Suzu ankert trotz zahlreicher futuristischer und fantastischer Elemente fest in der Wirklichkeit. Fiktiv ist nur die Online-Community namens „U“, in der wortwörtlich alle Welt einen Avatar hat. Dieses alternative Ich wird zwar in einer Überwachungshorrorvision beiläufig als Ausdruck der User-DNA erklärt, ist aber vielmehr eine Reinkarnation der Psyche, die verbogene Fähigkeiten und Seelenschmerzen enthüllt. Von beiden hat Suzu reichlich und ist damit in U nicht die Einzige.
Der spielerisch märchenhafte und mythische Motive verknüpfende Plot zeigt mit sich von der verbreiteten Technikfeindlichkeit angenehm abhebenden Idealismus die Onlinesphäre als Zufluchtsort, an dem isolierte Menschen Gleichgesinnte, Identifikationsfiguren und Unterstützung finden können. Dennoch ignorieren die nur vermeintlich vorhersehbaren Handlungswege nicht die Gefahren der schillernden Illusion, die Hater, Täuscher und selbsternannte Ordnungshüter hervorbringt. Jede Herausforderung, die Suzu in Gestalt der J-Pop-Sensation Belle annimmt, führt näher zur dramatisch und psychologisch gleichermaßen überzeugenden Vereinigung der Gegenwelten.
Wechselhaft und übersprudelnd wie das Digitaluniversum, in dem die unscheinbare Protagonistin zum Popstar avanciert, ist auch die Geschichte des visuell berauschenden Animes. Dessen harsche Themen hüllt Mamoru Hosoda in phantasievolle Metaphern. Deren differenzierter Optimismus setzt einen aufgeklärten Gegensatz zur plump-pädagogischen Panikmache vor der Schädlichkeit moderner Medien. Begleitet von den hitverdächtigen Popsongs von Millennium Parade überwinden die bemerkenswert autoritätskritische Message und authentischen Charakterzeichnungen auch strukturelle Schwächen der von Kunstmärchen und Science-Fiction inspirierten Parallelwelt-Parabel.
- OT: Ryû to sobakasu no hime
- Director: Mamoru Hosoda
- Screenplay: Mamoru Hosoda
- Country: Japan
- Year: 2021
- Running Time: 121 min.
- Cast: Kaho Nakamura, Takeru Satoh, Rina Izuta, Tina Tamashiro, Koji Yakusho, Shôta Sometani, Ryo Narita, Mamoru Miyano, Kenjirou Tsuda, Tomoyuki Morikawa, Mami Koyama, Sachiyo Nakao, Michiko Shimizu, Ryoko Moriyama, Fuyumi Sakamoto, Yoshimi Iwasaki
- Release date: 00.04.2022
- Image © Koch Films