Sie kommen bei Nacht. Sie arbeiten im Dunkeln, ihre Mission ist Kunst, ihre Feinde sind zahlreich: die Polizei, das Ordnungsamt und diese Sorte liebevoller Bürger, die den Kampfschrei „Ihr Vandalen!“ lieben. „Wegrennen ist für mich ein wichtiger Teil meiner Arbeit“, sagt Banksy. Seinen bürgerlichen Namen und sein Aussehen hält der englische Underground-Künstler geheim. Banksy ist bekanntester Vertreter und Vorreiter der Street Art. Doch die künstlerische Veränderung des öffentlichen Raums ist die Mission zahlreicher bekannter und unbekannter Street Artists. Mit Postern, Schablonen, Spraydosen und Plaketten schlagen sie zu. Illegal, blitzschnell und heimlich. Angeblich sind Banksy persönlich und ein gewisser Thierry Guetta die Schöpfer der schillernden Doku. Aber ob das auch wieder ein kreativer Stunt ist, weiß nur er selbst. Nichtsdestotrotz ist das filmische Resultat spannend, doppelbödig und ungemein unterhaltsam anzuschauen.
Das erste Interview entstand laut Untertitel in Banksys Heim. In seiner Privatsphäre zeigt sich der Künstler, der mit verzerrter Stimme spricht, aber augenscheinlich nicht. Es sei denn, man geht davon aus, dass Banksy in einem alten Eiscremewagen lebt, was irgendwie verdammt cool wäre. Das Eismobil hat auf dem Dach sogar eine riesige Plastikeistüte, auf der Superwhip steht. Aber zurück zu den anderen abgefahrenen Kreationen des Films. Das Projekt sei kein Film über ihn, sondern einen Typen, der versucht einen Film über ihn zu machen, erklärte Banksy vorab. Er, der absichtlich oder unabsichtlich wohl der mainstreamigste Künstler seit Andy Warhol wurde, bleibt buchstäblich im Dunkeln. Seine wenigen Sätze durchleuchten scharfsichtig die kommerziellen Mechanismen des Kunstbetriebs. Manche Leute dächten, dieser Film sei eine Scharade, kommentiert Banksy. Tatsächlich erzählt die Mockumentary von einer weit größeren Scharade, nämlich der musealen und akademischen Einordnung, was als Kunst aufzufassen sei und was nicht. Die erste Hälfte des aus Archivmaterial zusammengefügten und durch Interviews ergänzten Dokumentarfilms zeigt die Street-Art-Szene in verwackelten Guerilla-Aufnahmen.
Sie vermitteln kongenial die politisch-agitatorische Kraft der subversiven Gestaltungsform. Die zweite Hälfte zeigt satirisch Thirrys Aufstieg zu jemandem, dessen Werke für Unsummen gehandelt werden. Seine Werke gleichen einem schlechten Abklatsch der Kunst seiner ehemaligen Freunde. Aber es ist schwer, jemandem Böse sein, der am Eingang von Disneyland fragt, ob Micky Maus heute da ist. Thierrys Kunden zahlen freiwillig für ein Poster Zehntausende. Zwei Besucherinnen vorne in der Schlange vor einer Ausstellung haben davon im „L.A. Weekly“ gelesen. Ein Typ weiter hinten vermutet da vorne etwas mit Pop Art und Street Art. Noch weiter hinten wartet man auf „irgendwas Spannendes“. Die Letzten in der Reihe denken vermutlich, vorne gibt es Muffins umsonst. Banksy berichtet von einer Kunstaktion, für die er Geldnoten mit dem Porträt von Lady Di druckte. Keiner erkannte das Falschgeld. „Wir haben eine Millionen Pfund gefälscht“, seufzt Banksy. „Aus Versehen“ Steht das Konzept über der Originalität, wird Kunst zu Kunsthandwerk. Darin liegt der Unterschied zwischen einem Bouguereau und einem Basquiat.
Zu guter Letzt verraten Texttafeln, wie es mit den Protagonisten weiterging. Der supercoole Thierry alias Mr. Brainwash hat angeblich das Cover von Madonnas neuer CD entworfen. Banksy wird nie, nie, nie wieder an einen Dokumentarfilm mitarbeiten. Catch me if You can, I´m the spray can man.
- OT: Exit Through the Gift Shop
- Regie: Banksy
- Drehbuch: Holly Cushing, Jaimie D’Cruz, Robert Gastman, James Gay-Rees, Melody Howse, Andrew Palmer
- Produktionsland: USA, UK
- Jahr: 2010
- Laufzeit: 87 min.
- Cast: Banksy, Mr. Brainwash, Debora Guetta, Space Invader, Monsieur André, Zeus, Shepard Fairey, Ron English, Caledonia Curry, Borf, Buffmonster, Steve Lazarides, Wendy Asher, Roger Gastman, Laurent Nahoum-Vatinet, Amanda Fairey
- Kinostart: 21.10.2010
- Beitragsbild © Berlinale / Alamode